me, myself and I

TAG&NACHT/BUCH
Kurze Gedichte
Das lange Gedicht
als Vorbedingung für
kurze Gedichte.
Walter Höllerer, 1965
 
DIE STORY DES TAGES ist es
nicht geworden — die Freunde
gehn leer aus — die Erben verfluchen mich
quer über dem kümmernden Hirn hängt das Wort
»Rache« — rostbefallenes Werkzeug

                                                          Muttermord — fein
                                                          im Traum inszeniert

die andere Hälfte des Mondes — die bleiche
NichtMutter — NichtSchwester

Blut — getrocknet

                                                                                                                                        auf dem Strich
                                                                                                                                        GEDANKENSTRICH

(29.5.1997)

ROBOT  —  feinziseliert - bis in die Bewegungen hinein
künstlich gekünstelt - wo bleibt da NATUR?
jede Beobachtung geht ins NICHTS
auch wenn du deinen Köter
mit dem Zeigefinger streichelst ...
Gib´s auf - einen Sinn
wird das nie ergeben
FragezeichenHaltungskörper
hingelümmelt auf dem Kaffeehausstuhl
[...]
(14.6.1997)

FUNKTIONIEREN — wie eine
Maschine — anspruchslos
doch unberechenbar  . . .  wo sind
Ziele? — klammeraffenhaltbar
unumgehbar — sinnkalt, entleert
Wo sind Wert
Schöpfungen? — haltbar — fundamentenfest
Ich überquere den Steg und
Du bleibst an meiner Seite  . . .
(22.6.1997)

WIE ES GEHT... —  ein Wort
Wie geht es?  —  zu setzen
in Lücken  /  in Weißes  /  da
wo noch Nichts ist — unschuldig/unschuldigst
eine Frage sollte es sein, kein Lamento
Credo erst recht nicht

In einem Krimi gelesen:
„Was ist ein gutes, was ist ein schlechtes Gedicht?"
Frage: unerwartet / überflüssig
dann schon lieber:
Meerwasser in offene Wunden gießen ...

(22.6.1997)

HARTES GESICHT

Sgt. McCall (???) oder
so ähnlich — Bleichgesicht
wer ruft dich an?
— dramatischer Einfluß der
Fern / Seh / Serien  . . .
    jagt ihn (Hunter)
    und schießt sie tot

(3.7.1997)

ÄRSCHE FÜR KOHL
Vgl. »die tageszeitung«, Berlin, vom 8. Oktober 1997, Seite 6

DIE DUNKLEN AUGEN töten
brennen leer und laufen aus
hängen sich einen Teppich um
sind reif und ungeblondet
und:
keiner versteht den anderen   [...]
(7.7.1997)

DAS TROJANISCHE PFERDCHEN in mir:
meine dürftige Seele spannt Radarflügel aus
Fliegenklatschen — schwarzgemustertes
Gefängnis meiner Hoffnungen
klebrig — erfüllt es nur gelegentlich
seine Pflicht — Wer ist es
der so tief verborgen in mir hockt?
Wer stürzt heraus?
Wer ist der Feind?
(9.10.1997)

WHEN THE MUSIC´s over —
turn out the light  . . .
ja — und dann — ?
                                                was dann —
                                                wo ist der Stern?
                                                wo leuchtet er?
(3.11.1997)

BLÖDE GEFÜHLE angesichts gewisser
Alterserscheinungen (auch Staunen, Ungläubigkeit)
                                —  die Langsamkeit
                               aller Funktionen, z.B.
—  nur die Reise in den Tod
wird ständig beschleunigt
(19. 3. 1998)

DIE ENTDECKUNG der eigenen Brauchbarkeit
kommt   s o   überraschend nicht
Beim Blick auf meine gefrorenen Worte
überkommen mich dankbare Gefühle
(20. 3. 1998)

KEIN GEREDE heut Nacht
Stille aus dem Radio
Vorwürfe an den eigenen Schatten
meine treulose Liebe verlassen
aufatmend einerseits
andererseits aber drohendes Nichts
=>  alles irgendwie beschissen!
(2./3.10.1998)

ALLES unter Kontrolle haben
nachdem alles entglitten ist
im Scherbenhaufen stochern
nach verlorenen LebensPlänen
(11.10.1998)

EIN VER — rücktes Licht
fällt auf dein Gesicht / im Schnee
finde ich unsere Spuren
mehr oder weniger — leichtfüßig
hauchdünn überweht
doch :
           der Eindruck ist wahr
(8.12.1998)

AUFGERÄUMT im Innern / der Teich
noch gefroren / die Sonne
verschwunden / die Liebe
erblüht / der Mond
voll aufgeblasen / das Gedicht
am Ende . . .
(3.1.1999)

QUASIMODO war schneller
immer im Blick :
                                   die schön(st)e Frau
mir im Rücken :
                                   die schießwütige Hexe
— was ist denn nicht banal?
(19.1.1999)

FREMDE WÖRTER imponieren
dem Sprecher am meisten — manchmal
verstehen andere
                           sie besser . . .
sie leben sie
(20.1.1999)

SCHMERZ — unausweichlich, allumfassend
den ganzen Körper, bewegungsunfähig
und dann:
               ein gefundenes Fressen für Witzbolde
               ein dankbares Objekt für Experimente
               ein gewinnträchtiger Gegenstand
— und das soll eine positive Erfahrung sein?
(1.2.1999)

GERHARD UND OSKAR :
Zwillingsärsche an einer Leiste
heute nu auch schon nich mehr
dabei ist mir der rechte lieber
weil er ein klein wenig weiter
links steht . . .
(15.3.1999)

JA — GOETHE  :  mach Platz
für mich (und meinetwegen
für andere) — wo ist unser Ort
wenn Du schon am Tisch sitzt
(17.4.99)

JA — SCHEISSE  :  mach Platz
unter mir — entweiche, und
laß mir meine Ruh´ — denn:
Bedrängnisse hab´ ich genug.
(4.8.99)

WILLKOMMEN SIE IM ZIMMER

Werf mich nicht hinaus
Schreib nicht deine Erinnerungen auf
Zerstorst bitte nicht Die zestorungen sind verboten
Du kannst dich an der Rezeption Wendest wenn etwas Kriegen Willst

Wir wunschen Ihnen viel vergnugen
(Athen, Sept. 99)