VON DER ALLTÄGLICHKEIT
UND VOM SCHÖNEN SCHEIN

Gesammelte Prosa 1975 - 1990

(Zitate, MiniEssays, Erzählfragmente,
Notizen, Tagebuchblätter)



 
für
Norbert
Mick Jones
Kevin Coyne
Roland Barthes
Ruth
Rolf Dieter Brinkmann
mich selbst
Pier Paolo Pasolini
Donald Duck
Johann Wolfgang von Goethe
Rudi and all the kids in the streets
und viele viele andere
 

 

VORWORT
 

VON DER ALLTÄGLICHKEIT UND VOM SCHÖNEN SCHEIN: von dem also, mit dem wir uns jeden Tag umgeben. Sehen, Lesen, Denken, Schreiben: vom Überleben und dem, wie man der Alltäglichkeit entgehen kann und dem schönen Schein, einen kleinen Einblick/Durchblick an/bieten. Unverbindlich, verbindlich. Aufzeichnungen. Details.

INS POESIEALBUM: Ich finde, das meiste kritische Schreiben ist Papperlapapp, und die gute Hälfte ist unehrlich...und es hat keinen Sinn, daß ich auch noch meinen Senf dazugebe. Jedenfalls ist es nur eine Abkürzung des Weges in die Vergessenheit. Das Denken in abstrakten Begriffen zerstört die Kraft, in Begriffen des Gefühls und der Empfindung zu denken. Raymond Chandler an James Sandoe, in: Die simple Kunst des Mordes, Zürich 1975 (= de-tebe 7/V), Seite 53

Es geht zunächst darum, sich über das Wort 'REALISMUS' zu einigen, das weder eine Drehbuchtechnik noch einen Inszenierungsstil bedeutet, sondern einen Geisteszustand: daß die gerade Linie der kürzeste Weg von einem Punkt zum anderen ist. Jacques Rivette, Brief über Rossellini, in: Filmkritik Nr. 151, Frankfurt/Main, Juli 1969, Seite 454

Zunächst muß man die Menschen kennen wie sie sind. Und das Kino ist dazu da, sie unter allen Breiten zu finden, in allen Abenteuern, unter allen Winkeln, den guten und schlechten. Nicht umsonst heißen die Objektive der Kamera so. Man muß versuchen, sich den Menschen mit Objektivität und Respekt zu nähern. Man hat nicht das Recht, eine abstoßende Person zu filmen, wenn man gleichzeitig die Absicht hat, sie zu verdammen. Ich erlaube mir nie ein Urteil über meine Personen. Ich begnüge mich damit, ihr Verhalten und ihre Gesten zu zeigen. Ich glaube, es war Balzac, der zu Beginn der letzten Kapitel seiner Romane sagte: »Und jetzt sprechen die Tatsachen für sich selbst!« Und den Dingen auf den Grund gehen, das heißt genau nichts anderes. Man muß an diesen äußersten Punkt gelangen, an dem die Dinge von selbst sprechen. Was nicht nur bedeutet, daß sie allein sprechen, sondern auch, daß sie darüber sprechen, was sie in Wirklichkeit sind. Ein Kritiker ist auch ein Missionar. Jean-Luc Godard läßt Roberto Rossellini sprechen, in: Godard/Kritiker. Ausge-wählte Kritiken und Auf-sätze über Film (1950-1970), München 1971 (= Reihe Hanser 83), Seite 139

Mich interessieren alle Arten von Kritik - selbst die von... Louis Chauvet zum Beispiel! Aber die einzige derzeit wichtige, die man selbst in den 'Cahiers du Cinéma' (noch) nicht findet, wäre die Kritik der (Nicht-)Produktionsmittel und der (Nicht-)Distributionsmittel (TV inbegriffen) von benebelnden oder berauschenden (kinematographischen) - und anderen - Produkten. Jean-Marie Straub, 'Filmcritica'. Eisenstein. Brecht, in: Filmkritik Nr. 199, München, Juli 1973, Seite 300

Weiterführende Literatur zum Thema Kino, Produktion, Wirklichkeit:   Harmut Bitomsky, Die Röte des Rots von Technicolor. Kinorealität und Produktions-wirklichkeit, Neuwied 1972 (= Sammlung Luchterhand 69). - Immer wieder auf dieses Buch hinweisen, das ein Ausgangspunkt für ein Begreifen der (Film)Wirklichkeit sein kann und ist.
 


Man kann nur noch im Hinterhalt leben,
schreiben
und Filme machen.
(Uwe Nettelbeck)



ZUR METHODENFRAGE
 

»Heute« beklagte sich Herr K., »gibt es Unzählige, die sich öffentlich rühmen, ganz allein große Bücher verfassen zu können, und dies wird allgemein gebilligt. Der chinesische Philosoph Dschuang Dsi verfaßte noch im Mannesalter ein Buch von hunderttausend Wörtern, das zu neun Zehnteln aus Zitaten bestand. Solche Bücher können bei uns nicht mehr geschrieben werden, da der Geist fehlt. Infolgedessen werden Gedanken nur in eigener Werkststatt hergestellt, indem sich der faul vorkommt, der nicht genug davon fertig bringt. Freilich gibt es auch dann keinen Gedanken, der übernommen werden könnte. Wie wenig brauchen diese alle zu ihrer Tätigkeit! Ein Federhalter und etwas Papier ist das einzige, was sie vorzeigen können! Und ohne jede Hilfe, nur mit dem kümmerlichen Material, das ein einzelner auf seinen Armen herbeischaffen kann, errichten sie ihre Hütten! Größere Gebäude kennen sie nicht als solche, die ein einziger zu bauen imstande ist.«

Bertolt Brecht, Geschichten vom Herrn Keuner, in: Gesammelte Werke, Band 12, Frank-furt/Main 1967, Seite 379 f




ENDGÜLTIGE SCHLUSSBEMERKUNG
ZU EINEM ANFANG

Sich über Brecht auszulassen, etwas über ihn oder über das, was er geschrieben hat (was eh das gleiche ist) zu sagen, ist fast unmöglich geworden; bevor es ganz unmöglich geworden ist, schnell noch ein Zitat, das eine Art Ausgangspunkt sein könnte:

Allseitigkeit des Realismus
Der schreibende Realist verhält sich realistisch in jeder Beziehung: seinen Lesern gegenüber, seiner Schreibweise (sich selber) gegenüber, seinem Stoff gegenüber. Er berücksichtigt die gesellschaftliche Lage seiner Leser, ihre Klassenzugehörigkeit, ihre Stellung der Kunst gegenüber, ihre aktuellen Ziele; er prüft seine eigene Klassenzugehörigkeit; er besorgt sich umsichtig seine Material und kritisiert es sorgfältig. Er entführt nicht seine Leser aus ihrer Wirklichkeit in die seine, er macht sich nicht selber zum Maß aller Dinge, er besorgt sich nicht lediglich einige effektvolle Hintergründe, etwas Kolorit, ein paar einleuchtende Motive und schöpft seine Kenntnis der Wirklichkeit nicht lediglich aus sensuellen Impressionen, sondern er listet der Natur ihre Listen ab mit Hilfe aller Hilfsmittel der Praxis und des Wissens und stellt ihre Gesetzlichkeit dar in einer Weise, die in das Leben selber, das Leben des Klassenkampfes, der Produktion, der besonderen geistigen und körperlichen Bedürfnisse unserer Zeit eingreifen können, er begreift die Wirklichkeit, in ständigem Kampf gegen die Schematik, die Ideologie, das Vorurteil, in ihrer Vielfältigkeit, Abgestuftheit, Bewegung, Widersprüchlichkeit. Er begreift und handhabt die Kunst als menschliche Praxis mit spezifischen Eigenarten, eigener Geschichte, aber doch Praxis unter anderer und verknüpft mit anderer Praxis.
Bertolt Brecht, Notizen über realistische Schreibweise, in: Gesammelte Werke, Band 19, Frankfurt/Main 1967, Seite 372 f.




NUMMER ZWEIHUNDERTFÜNFUNDNEUNZIG

Als Lola, die ich mag, hätte ins Kino gehen dürfen, als sie sechs gewesen ist, hätte sie nur einen einzigen Film von John Ford, der zu ihren Lebzeiten gedreht worden wäre, im Kino ansehen können. So schaut sie, wenn sie mit mir in einen John-Ford-Film geht, die Filme eines Mannes an, der für sie nicht erst vor wenigen Wochen gestorben ist, sondern für sie in ihrem kurzen Leben immer schon ein Toter gewesen ist.  Mir kommt es dann manchmal vor, als wäre meine Ansinnen an sie wie das, daß im Crash ich ihr vorschlage, mit mir einen Paso Doble zu tanzen. Die Hoffnungslosigkeit, ihr klarmachen zu können, daß das, was sie wird sehen können, mit ihr und mir zu tun haben wird, mag mich beflügeln - doch die Flügel tragen nicht sehr weit. Die Nacht fällt und ich verstumme lautlos.

Im Kino entdecke ich ihre wahre Natur. Nur die kalte Nacht ließ mich noch eine Weile an sie kuscheln. Wenn ich sie ansah, war es, als redete ich über Wasserflöhe. Wann wird sie gewußt haben, wer ihre wahren Freunde sind.

Die meisten Lolas sind wie die Häuser, in denen sie gezeugt worden sind - ihre ersten Fäuste ballen, die ersten Zähne bekommen, die ersten Schamhaare, die ersten Liebessehnsüchte - vorherbestimmt, wo Doppelbett und Fernseher zu stehen haben und  d a ß  sie zu stehen haben und zum raschen Altern.

Immer mehr wird heute den Jungen das Kino zu einem Fluchtpunkt von etwas, das schon ein mehrfach vermitteltes ist: Motivation des Aufbrechens und Anspruch an das Außen verknäulen sich zusehender, je stärker die Autorität der Familienoberhäupter übergeht auf die Zimmerecken, in denen wir uns früher haben schämen müssen, in denen aber heute die Fernsehapparate ihr geschäftiges Dasein lachen. Der Gegner verliert sich hierdurch sofort ins Allgemeine. Daraus ist auch der enorme Rückgang erklärlich der Vatermorde in den letzten Jahren, wohingegen immer häufiger vorzukommen pflegt, daß angeschossene Fernsehapparate in die Hospitäler eingeliefert werden müssen.

Die Jungs, die heute in die Kinos gehen, wissen andererseits, wenn sie in die Kinos gehen, daß sie nur so lange in die Kinos gehen wie sie selber noch keine Familie haben und den eigenen Fernseher einschalten werden zum Abendbrot. Dieses Wissen nehmen sie in die Kinos mit und läßt sie bestimmte Erwartungen stellen. Die Erwartungen wiederum produzieren die entsprechenden Filme.

Auch aus diesem Grund stellt die Filmindustrie keine Genrefilme mehr her, sondern nur noch Serien, und auch aus dem Grund, weil sie keine Genrefilme mehr herstellt, ist sie keine Filmindustrie mehr. Das Kino beginnt seine Rolle leichtfertiger als es es nötig hätte zu verspielen; es findet bald nur mehr - für eine elitäre Minderheit von Cineasten und Politniks - in den Ghettos der Repertoirekinos, Filmclubs, Filmmuseen, kommunalen Kinos etc. statt. Die Industrie, die so gut war wie sie war und als kapitalistische Industrie sein konnte, weil sie eine Industrie war und mehr als das, schaufelte ihr eigenes Grab, weil sie nur noch eine Industrie sein will und dadurch zum Verwaltungsapparat verkommt.

Aber viele Jungs gehen schon gar nicht mehr ins Kino.

Wolf-Eckart Bühler, Meine 295 letzten Gedanken im Kino, in: Icon Nr. 3, Göttingen, November/Dezember 1973, Seite 55-56




ÜBER FERNSEHEN

Wenn Sie so aufgebracht sind übers Fernsehen, warum schreiben Sie dann den Artikel nicht selbst? Und auf wen sollte man da überhaupt wütend sein? Wer hat das Fernsehen den Schaumschlägern der Werbung in die Hände geliefert? Und warum diesen Schaumschlägern einen Vorwurf daraus machen, daß sie sind, was sie sind? Wenn wir, um nur ein grobes Beispiel zu nennen, die Theorie akzeptieren, daß der Schwindel mit den Kosmetika einen achtbaren Wirtschaftszweig darstelle, warum sollten wir uns darüber ereifern, daß die Kerls auch Werbung machen? Wenn wir Schreihälse und Possenreißer komisch finden statt unsagbar vulgär, warum sollte es uns dann überraschen, daß man ganze Shows um sie herum baut? Und wenn wir meinen, schlechte Fernseh-Shows wären dazu angetan, die Jugend unseres Landes zu verderben, dann sollten wir uns doch einmal ansehen, was an den höheren Schulen vor sich geht.

Für mich ist das Fernsehen bloß eine weitere Facette jenes gar nicht kleinen Segments unserer Zivilisation, das nie einen anderen Maßstab gekannt hat als den des leichtverdienten Dollars. Das ist heute noch so und wird wohl auch immer so sein...

Vielleicht sollte man in gewissem Sinne sagen: je schlechter das Fernsehen ist, desto besser. Wie ich höre, sitzen eine Menge Leute vor dem Bildschirm, die's schon lange drangegeben hatten, Radio zu hören. Vielleicht geht genügend vielen dieser Leute nach einer Weile auf, daß sie da in Wirklichkeit nur sich selber anstarren. Das Fernsehen ist ja wahrhaftig das, worauf wir unser Leben lang gewartet haben. Ins Kino zu gehen machte ja noch beträchtliche Mühe. Jemand mußte bei den Kindern bleiben. Dann mußte man extra den Wagen aus der Garage holen. Das war eine schwere Arbeit. Und dann mußte man ja auch noch fahren und sich einen Parkplatz suchen. Manchmal mußte man sogar einen halben Block weit zu Fuß gehen, um ins Kino zu kommen. Lesen war zwar körperlich weniger mühselig, aber da mußte man sich wieder ein bißchen konzentrieren, selbst wenn man bloß einen Krimi las oder einen Western oder einen von diesen historischen Romanen, den sogenannten. Und alle Nase lang stolperte man über eines von diesen schwierigen Wörtern, die mehr als zwei Silben haben. Da konnte einem schon der Kopf rauchen. Das Radio war da schon wesentlich besser, aber da wußte man wieder nicht, wo man hingucken sollte. Der Blick wanderte ziellos im Zimmer herum, und unter Umständen fing man dann an und dachte an andere Dinge - Dinge, an die man gar nicht denken wollte. Man mußte sogar ein bißchen Phantasie aufwenden, um sich aus dem bloßen Ton und Geräusch ein Bild von dem zu machen, was da vor sich ging.

Aber das Fernsehen ist schlechthin vollkommen. Man dreht ein paar Knöpfe, bedient ein paar von den mechanischen Einstellvorrichtungen, in denen es die höheren Affen so herrlich weit gebracht haben, und lehnt sich zurück und läßt alle Gedanken aus seinem Kopf wegsickern. Und dann sitzt man da und betrachtet die Blasen im Urschlamm. Konzentrieren muß man sich nicht dabei. Reagieren muß man auch nicht. Man braucht sich an nichts zu erinnern. Seinen Verstand vermißt man nicht, weil man ihn gar nicht benötigt. Herz, Leber und Lunge funktionieren weithin normal. Davon abgesehen ist alles friedlich und still. Man befindet sich im Nirvana des kleinen Mannes. Und wenn ein garstiger Mensch daherkommt und sagt, man sähe aus wie eine Fliege am Müllkübel, dann beachtet man ihn einfach gar nicht. Wahrscheinlich verdient er bloß nicht genug, um sich einen Fernseher zu leisten.

Raymond Chandler an Charles W. Morton, in: Raymond Chandler, Die simple Kunst des Mordes, Zürich 1975 (= detebe 70/V), Seite 168-169




ERFAHRUNGEN

Es hat einer über seine Erfahrungen geschrieben: mit dem Sozialismus, Arbeit, Frauen, Kino, Fernsehen, Schreiben... etc., über all das, was ihm begegnet ist in zwölf Jahren. - Die eigenen Erfahrungen mit denen eines anderen konfrontieren!

Wie provozierend: ich habe von Schubert geschwärmt, von römischen Plätzen, bin fürs Handwerk eingetreten, habe Klatsch erzählt, rationalisiert - und nicht einmal Marx und Engels zitiert. Weil ich die Einwände von links gegen mich kenne, diese durchaus richtig sind, konnte ich stellvertretend als 'linksintellektueller Ahasvertypus aus dem austriazistisch-schizophrenen Kleinbürgertum' auftreten. Weswegen ich Westberlin 1963 - 74 so und nicht anders vorgestellt habe, resultiert aus einem simplen Beweggrund, den ich bitte nie außeracht zu lassen: Menschen, die nur über ihre Wehwechen, Vergnügungen, materiellen Alltagssorgen kommunizieren können, sind mir zuwider. Hingegen scheinen mir Personen, die nach ihrer Hinwendung zum Marxismus sich einbilden, es hätten ihre Wehwechen, Vergnügungen, materiellen Alltagssorgen via theoretische Erklärung zu bestehen aufgehört, nicht ungefährliche Idealisten zu sein.

Günter Peter Straschek: Straschek 1963 - 74 Westberlin, in: Filmkritik Nr. 212, München, August 1974, Seite 391



 
THEORIE / GESCHICHTE
 
 

Man kann drei große und grundsätzliche Schübe in der Theorie des Films feststellen, sie markieren unterschiedliche Etappen in der Filmgeschichte. Wenn auch ein strengerer Nachweis fehlt, so ist dennoch zu sehen, daß diese Unterschiede von den Stadien der ökonomischen Prozesse der Filmindustrie determiniert sind. Eine solche Zuordnung von Filmökonomie, Filmen und Filmtheorie geht nicht ohne Reibungsverluste ab, und es wäre leicht, Gegensätze und Divergenzen herauszufinden, zumal es ein konstantes Zurückhängen der theoretischen Entwicklung gegenüber der ökonomischen und kinematographischen Entwicklung gibt: die Theorien sind nie so fertig, wie es die Filme sind, von denen sie sprechen.

Hartmut Bitomsky, Einleitung zu Béla Balázs, Der Geist des Films, Frankfurt/Main 1972, Seite 13
 
 



 
ALKOHOL ALS GEBURSHELFER
DES DICHTERS - ODER:
SAUFEN IST NORMAL

 
 

...»aber Wer von 'Entgleisungen' & 'fundamentalen Anzeichen eines geistigen Notstandes' dozieren möchte : der spinnt ! Und hat keine Ahnung von den Höheren Alkoholvergiftungen : POE hat seine Dipsomanie doch recht=ordentlich in Literatur umgesetzt :?Also 'natürlich !' trank er; (Bekannte haben's geschildert, wenn er wieder nach Fusel roch - es kann nicht Jeder nach Rüdesheimer duften! Ja ich möchte fast des Satz aufstellen): Je größer der Genius, desto billiger der Sprit den Er sich leisten kann - : Saufen ist normal !«

Arno Schmidt, Zettels Traum, Frankfurt/M 1970, Zettel 15
 
 



 
IST LESEN 'ARBEIT'?
 
Für den Fachmann ja. Das ist eines der Kennzeichen des Intellektuellen. / Schopenhauer hielt vor allem der Gedanke vom Heiraten ab, daß er sich dann nicht mehr genug Bücher kaufen könnte. / Alexander von Humbold gab zu Protokoll: »Wer die Qualen der Hölle schon auf Erden kennen lernen will : der verkaufe seine Bibliothek!« Ludwig Tieck besaß 16, Müller 5 1/2 Tausend Bände. - Drücken wir es, ganz nüchtern, so aus: Wenn Sie über einen 'Gegenstand' schreiben wollen, müssen sie wissen, was man  v o r  Ihnen drüber gearbeitet hat (...) Dem Schlosser billigt man anstandslos z», daß sein shop voller Handwerkszeug hänge : Bücher sind das Handwerkszeug des Intellektuellen!

Arno Schmidt, Müller oder vom Gehirntier, in: Tina / oder über die Unsterblichkeit, Frankfurt/M 1966 (= Fischer Taschenbuch 755), Seite 55
 
 



 
LOHN DER GEWALT
ODER
KEINE FALSCHE BEWEGUNG

 
Das Feuer brannte in einer windgeschützten Mulde und verbreitete matte Helligkeit. Ed Malloy näherte sich mit schußbereiter Winchester und hielt dabei beständig Ausschau nach Lafe Riskin, der irgendwo zwischen den Büschen steckte. Rauchiges Zwielicht lag über der Wüste, und am Himmel funkelten Myriaden von Sternen. Ed Malloy wußte, daß sein Gegner ganz in der Nähe war. Er verspürte dieses unangenehme Kribbeln im Nacken, wie er es immer hatte, wenn Gefahr drohte. Hinter einem kalten Felsbrocken zügelte er sein Pferd und saß ab. Außer dem Feuer und den Spuren, die in diese Richtung führten, deutete nichts auf Riskins Anwesenheit hin. Doch Ed Malloy wußte es besser. Er befand sich nun seit drei Tagen auf Riskins Fährte und hatte den Viehdieb nicht ein einziges Mal aus den Augen verloren. Durchaus möglich, daß Lafe Riskin irgendwo im Hinterhalt lag und einen günstigen Moment abwartete, um seinen Verfolger mit einer raschen Kugel für immer los zu werden. Das Pferd schnaubte nervös, als unmittelbar neben dem Fels ein Ast knackte. Alarmiert wirbelte Malloy herum, den Finger am Abzug. Aber es war nur ein Coyote, der lautlos in der Dunkelheit verschwand. Die Wüste erstrahlte in einem seltsamen Glanz. Weit in der Ferne erhoben sich die Kämme der Sierra Nevada; sie waren von bläulichen Schatten umgeben. Vorsichtig schlich Ed Malloy auf das Feuer zu, das keine zwanzig Yards mehr entfernt war. Unter seinen Stiefeln knirschte Sand; das Geräusch war ungewöhnlich laut, so daß es seiner Meinung nach jeder hören mußte, der nicht gerade mit Taubheit geschlagen war.

   Endlich hatte er das Feuer erreicht und musterte aus schmalen Augen die Gegenstände, die verstreut im Sand lagen. Vor allem das rußige Laufeisen, mit dem man ohne besondere Schwierigkeiten gestohlene Rinder umbränden konnte, fesselte seine Aufmerksamkeit.

   Außerhalb des Feuers waren die Schatten undurchdringlich und schwarz. Sie bargen Gefahren. Jeden Moment konnte eine Kugel aus der Dunkelheit kommen und seinem Leben ein Ende setzen. Lafe Riskin würde sich nicht so ohne weiteres festnehmen lassen. Wie er schon oft bewiesen hatte, war er verteufelt schnell mit dem Colt.

   Langsam umrundete Malloy das heftig flackernde Feuer, bis er neben den Felsen stand, die von den Flammen rötlich beleuchtet wurden. Es sah wirklich so aus, als hätte Riskin das Weite gesucht. Selbst die Rinder, die er einem Rancher in der Nähe von Winnemucca gestohlen hatte, waren verschwunden. Was, zum Teufel, hatte das zu bedeuten? Lafe Riskin konnte sich doch nicht in Luft aufgelöst haben!

   Mißtrauisch ging Ed weiter, durchstöberte die Felsen und erwartete jeden Moment das Aufblitzen eines Schußes. Er hatte keinen Hufschlag gehört, also mußte Lafe Riskin noch da sein. Fragte sich nur wo...

   Sekunden später bekam er die Antwort in Form einer Kugel, die haarscharf an seinem Kopf vorbeiflog, den Sand aufwirbelte und sich dann irgendwo plattschlug. Blitzschnell warf sich Malloy zu Boden und riß das Gewehr hoch.

   Doch da sagte eine rauhe, heisere Stimme:

   »Keine falsche Bewegung, Ed, oder du hast deinen Blechorden die längste Zeit getragen.«

Der Anfang des Romans 'Lohn der Gewalt' von Ken Hopkins, o.O., o.J.
 
 



 
REDEN UND HANDELN
 

Madvig sprang auf. Seine Hand packte die Hand Ned Beaumonts, quetschtesie. »Geh nicht weg, Ned. Halt mit mir durch. Weiß Gott, ich brauche dich jetzt. Selbst wenn ich dich nicht brauchte - ich würde tun, was ich nur könnte, um alles wiedergutzumachen.«

   Ned Beaumont schüttelte den Kopf. »Du hast an mir nicht das geringste wiedergutzumachen.«

   »Und du wirst - ?«

   Ned Beaumont schüttelte abermals den Kopf. »Ich kann nicht. Ich muß einfach weg.«

   Madvig ließ die Hand des anderen los, setzte sich, verdrießlich, wieder hin und sagte: »Na ja, geschieht mir recht.«

   Ned Beaumont, machte eine ungeduldige Geste. »Damit hat das gar nichts zu tun.« Er hielt inne und biß sich auf die Lippen. Dann sagte er barsch: » Janet ist hier.«

   Madvig starrte ihn an.

   Janet Henry öffnete die Schlafzimmertür und kam ins Wohnzimmer. Ihr Gesicht war blaß und verzerrt, aber sie trug es hoch. Sie trat direkt auf Paul Madvig zu und sagte: »Ich habe ihnen viel Schaden zugefügt, Paul. Ich habe -«

   Sein Gesicht war blaß geworden wie ihres. Jetzt schoß Blut hinein. »Nein, Janet, nein« sagte er heiser. »Nichts, was sie tun könnten...« Der Rest seiner Rede war ein unverständliches Murmeln.

   Sie zuckte zusammen, trat zurück.

   Ned Beaumont sagte: »Janet geht mit mir fort.«

   Madvigs Lippen teilten sich. Er sah Ned Beaumont dumpf an, und während er ihn ansah, wich das Blut wieder aus seinem Gesicht. Als sein Gesicht ganz blutlos war, murmelte er etwas, von dem man nur das Wort »Glück« verstehen konnte, wandte sich schwerfällig um, ging zur Tür, öffnete sie, ging hinaus und ließ sie hinter sich offen.

   Janet Henry sah Ned Beaumont an. Er starrte unverwandt auf die Tür.

Der Schluß des Romans 'Der gläserne Schlüssel' von Dashiell Hammet, Zürich 1976, Seite 263 f.
 
 



 
AMERIKA
 

Die Ankunft war sogar in der Wirklichkeit völlige Erinnerung - weil vom Schiff aus die Verrazano-Brücke, die Freiheitsstatue und alles bis zur Zollkontrolle so vorüberzieht und aussieht wie unzählige Male auf der Leinwand der Vorstellung.

   Die Sonne stand schon über New Jersey, es war ein heißer Tag gewesen. Der Himmel war kodakblau wie auf einer Miami-Beach-Postkarte.

   Ich stürzte mich in eine Telefonzelle. Fantastisch, wenn man die einfachsten Dinge wie in einem Krimi mit größter Geschwindigkeit herausfinden muß: brauche ich eine Vorwahlnummer für Jersey City, oder macht das der Operator, wieviele Münzen?

   Geheime Zeichen. Vom ersten Augenblick der Eindruck meine Muttersprache gefunden zu haben. Eine voll angemalte Welt, GELBE Taxis, GRÜNE Telefonzellen, Schilder, Schriften, die so angemalt sind, daß sie sich von selbst lesen. Der Raum ist gut verteilt. Plaketten. Ein Gefühl von Metall. Stoff. Holz. Glas.
(...)
   Plenty food. An Eßwaren gibt es in den Supermärkten eine größere Menge, an Süßwaren und Gebäck eine größere Vielfalt. Im Supermarkt zwischen zwei Dosenpyramiden versteckt stopft sich eine alte Frau den Mund voll mit Candies. In den Regalen, auf dem Boden, in den Ecken oft angebrochene Packungen, aus denen Kunden genascht haben.
(...)
   Unglaublich. Es gibt über 20 Sorten Life Savers. Außer den Five Flavors noch Peppermint, Butter Rum, Wintogreen, Assortmint, Chocomint, Wild Cherry, Orange, Butter Scotch, Stikopep und andere.
(...)
   In einer großen Schreibwarenhandlung Briefumschläge aus gelbem Manilapapier.
(...)
   Am Wochenende vor Weihnachten steure ich meinen Ford Mercury durch Pennsylvanien. Auf dem freien Land längliche schmale Häuslein mit einem spitzen Dach. Griffith hat in seinen historischen Filmen immer ein paar solcher Häuser zum Aufstellen, in 'America' kehrt ein und dasselbe Haus an verschiedenen Orten wieder. Es gibt sie noch in der Wirklichkeit. Sie sind so schmal, daß man durch die vorhanglosen Fenster in die Stube sehen kann und zur anderen Seite wieder raus auf einen Gänseweiher, eine Baumgruppe.

   Auffallend viele alte Häuser in gutem Zustand. Kunstsinn bei vielen Leuten offenbar in seinem elementaren Zustand: daß sie respektieren und pflegen, was überkommen ist.

   In New Hope haben Kinder einen Straßenstand aufgemacht und verkaufen köstliche Weihnachtskuchen - wahrscheinlich für die armen Kinder von Kummersdorf. Es wundert mich jetzt, daß ich nicht erwartet hatte, die bei Donald Duck ständig wiederkehrenden Dinge wie das Fischen, die Picknicks im Wald, die hohen Pfannkuchen, das Thanksgiving-Dinner und die Pflege öffentlicher Wohltätigkeit in der Wirklichkeit wiederzufinden; nur daß es geizige Dagoberts gibt, glaubt man ja leicht. Dies zu unterstreichen, hält an einem Eingang zu einem Naturpark, während ich die Straßenkarte studiere, ein Naturschutzpolizist, um mir zu helfen. Er sieht in seiner khakibraunen Uniform wirklich so aus wie der, der sich immer bei Tick, Trick und Track bedankt, wenn sie den Waldbrand gelöscht haben.

Zitate aus: Herbert Linder:  U S A ,  in: Filmkritik Nr. 172, München, April 1971, Seite 179-198.
 
 



 
ÜBER DAS TEMPO DER GEWALT
 

   Coffin Ed beugte sich auf dem Fenster, zielte sorgfältig übers Handgelenk und verschoß seine beiden letzten Patronen. Beiden Schüsse verfehlten den Reifen des Motorrades, aber die fünfte und letzte Patrone im Revolver war ein Leuchtspurgeschoß, seit er einmal nachts im Dunkeln hatte schießen müssen. Sie verfolgten die weißphosphoreszierende Flugbahn, sahen, wie das Geschoß den Reifen verfehlte, einen Kanaldeckel mitten auf der Fahrbahn traf, im stumpfen Winkel nach oben abprallte und in einen Reifen des Transporters schlug. Der Reifen platzte mit einem Knall. Der Fahrer spürte, daß sein Fahrzeug schleuderte und trat auf die Bremse.
   Das brachte den Motorradfahrer aus dem Konzept. Er hatte geplant, zwischen den beiden Lasten nach vorne zu preschen, den überholenden Kühlwagen zu schneiden. Wenn ihm das gelang, waren beiden Fahrbahnen blockiert, dann war er nach hinten gedeckt und konnte entkommen.
   Er holte gerade schnell hinter dem Transporter auf, als dessen Reifen platzte und der Fahrer auf die Bremse trat. Er bog scharf nach links aus, aber nicht schnell genug.
   Drei dünne Bleche aus rostfreiem Stahl, die der Transporter geladen hatte, bildeten eine kaum vierzöllige Klinge. Diese Klinge traf den Motorradfahrer über seiner wohlgefütterten Jacke am Hals, der vor Anstrengung gereckt und gespannt war, während das Motorrad darunter hinwegschoß. Es fuhr mit nahezu achtzig Stundenkilometern, und diese Klinge trennte dem Mann den Kopf vom Körper wie eine Guillotine.
   Der Kopf rollte die Bleche hinauf, während der Körper gerade sitzenblieb, die Hände um die Lenkstange geklammert. Der Körper beendete das Manöver, das der Kopf ihm befohlen hatte, und das Motorrad raste wie geplant an dem Lastwagen vorbei.
   Der Fahrer des Transporters sah aus dem Fenster, um den überholenden Kühlwagen zu beobachten, während er weiterhin bremste. Doch statt des Lastwagens sah er einen Mann ohne Kopf auf einem Motorrad mit Beiwagen vorbeirasen, dem ein Strom dampfenden Bluts wie eine Fahne im Wind nachwehte.
   Er schrie auf und wurde ohnmächtig. Seine erschlaffenden Füße ließen Bremse und Kupplung los und der Transporter fuhr weiter. Das von einem Mann ohne Kopf gesteuerte Motorrad schoß an ihm vorbei.
   Der Fahrer des Kühlwagens, der den mit Blech beladenen Transporter überholte, traute seinen Augen nicht. Er blendete die Scheinwerfer auf, beleuchtete den kopflosen Motorradfahrer und blendete schnell wieder ab. Mehrmals blinzelte er heftig. Das ist das erste Mal, daß ich am Steuer eingeschlafen bin, dachte er, und, mein Gott, was ist das für ein Alptraum! Er blendete wieder auf, und da fuhr das Motorrad immer noch. Ob Traum oder Wirklichkeit, er wollte machen, daß er so schnell wie möglich von hier fort kam. Er begann, mit seinen Scheinwerfern wild zu blinken, drückte auf die Hupe, trat aufs Gaspedal und sah weg.
   Der mit Blech beladene Transporter wich infolge eines Fehlers in der Steuerung langsam nach rechts ab. Er rollte über den niedrigen Bordstein auf den Gehweg und die breiten Steinstufen einer großen vornehmen Negerkirche hinauf.    In dem beleuchteten Anschlagkasten vor der Kirche war das Predigtthema für diesen Sonntag ausgehängt:
   Sei auf der Hut! Der Tod ist schneller als du denkst!
   Der Kopf rollte von dem langsamfahrenden Transporter herunter, fiel auf den Gehsteig und auf die Fahrbahn. Gravedigger, der schnell näher kam, sah etwas, daß wie ein Fußball mit Mütze aussah, über den schwarzen Asphalt kullern.
   »Was hat er da weggeworfen?« fragte er.
   Coffin Ed starrte wie versteinert hin. Er schluckte müh-sam. »Seinen Kopf« antwortete er schließlich.«  Gravediggers Muskeln zuckten krampfhaft. Er trat automatisch auf die Bremse.
   Unbemerkt hatte sich hinter ihnen ein Lastwagen genähert, der nicht mehr rechtzeitig bremsen konnte. Er stieß von hinten gegen die kleine Limousine, sanft nur, aber es genügte. Gravedigger wurde nach vorn geschleudert. Der untere Rand des Lenkrades traf ihn in den Solarplexus, und sein Kopf schnappte nach vorn. Sein Mund schlug gegen den oberen Rand des Lenkrades; er zerschlug sich die Lippen und beschädigte sich zwei Vorderzähne.
   Coffin Ed schoß mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe aus Sicherheitsglas und schlug ein Loch hinein, aber sein harter Schädel bewahrte ihn vor ernstlichen Verletzungen.
   »Verdammt« lispelte Gravedigger, richtete sich auf und spuckte Zahnsplitter. »Mit der asiatischen Grippe wäre ich besser dran.«
   »Weiß Gott, ich auch« bestätigte Coffin Ed.»   Nach und nach erschlaffte der kopflose Körper, das Motorrad begann zu schwanken, taumelte zur einen Seite, dann zur anderen, überquerte die 125th Street, wobei es gerade eben noch ein Taxi verfehlte, umkreiste sauber die Normaluhr und krachte dann in die vergitterte Tür eines Juwelierladens. Dabei riß es ein Schild mit der Aufschrift um: Wir geben selbst Toten Kredit.

Chester Himes: Harlem dreht durch, Reinbeck 1976 (= rororo 2388), Seite 64-66.
 
 



 
NACHRICHT
 

»Sagen Sie mal, haben Sie mein Gebiß gefunden?« An der Raststätte Remscheid (auf der Autobahn) überraschte ein Fernfahrer mit dieser Frage den Polizeibeamten Lothar K. (23). Der Beamte traute seinen Ohren nicht, als er diesen Bericht vernahm: »Als ich während der Fahrt mal ordentlich aus dem Fenster spuckte, flog das Ding raus.« Polizist und Fernfahrer gingen auf gemeinsame Suche. Sie fanden das Gebiß: jedoch zertrümmert. Da bemerkte der Fernfahrer: »Das Spucken war ja ganz schön teuer! Das Ding hat rund 600 DM gekostet.«
 
 



 
MANUSCRIPT
 

Das Schreiben ist eine äußerst stark formalisierte Technik, die schon rein pyhsiologisch eine eigentümlich starre Körperhaltung erfordert. Dem entspricht der hohe Grad an sozialer Spezialisierung, den sie erzwingt. Berufsmäßige Schreiber neigen seit jeher zum Kastendenken.
H.M.Enzensberger: Baukasten zu einer Theorie der Medien

Und wenn nicht allzu viele während des Films abschalten, werden wir, Sie als Gebraucher und ich als Macher, schon einen kleinen Sieg errungen haben gegen die Dummheit, gegen die Verachtung, gegen die Zuhälter der Filmbranche, die aus eigener Verachtung und Dummheit meinen: die Filme seien nie dumm genug für das Publikum.
Jean-Marie Straub: Einführung zur Fernsehaufführung von 'Othon'

Der große fantastische spanische Architekt Gaudí, der Baumeister des Jugendstils, ist folgendermaßen ums Leben gekommen. Eine Straßenbahn hat ihn in Barcelona überfahren und da er pflegte, sehr bescheidengekleidet zu gehen, meinte man, er wäre einer der sowieso zu vielen Armen aus der Stadt und ließ ihn einfach am Straßenrand wie einen Hund verbluten. So ist nun mal die Bürgergesellschaft und die Ordnung. Man muß schon Nerven haben um nicht durchzudrehen.
Vlado Kristl: Obrigkeitsfilm

Als ich nach drei Jahren Arbeit am Schneidetisch vom Film 'Sekundenfilme' aufblickte, graute der Morgen. Das Lampenlicht des Schneidetisches ist nicht mehr so hell und sticht nicht mehr so hart. Es ist die glücklichste Stunde des Lebens: Der Film ist vorbei. Die Nacht ist vorbei. Sonne, du kannst kommen.
Vlado Kristl: Sekundenfilme

Ich finde es ganz wichtig, daß Filme Abläufe bleiben, und alles, was diese Abläufe stört oder gar unnatürlich macht, mag ich nicht. Filme, auch wenn sie noch so künstlich sind, (...) aber die Kontinuität der Bewegung und der Handlungsabläufe muß einfach stimmen, die Zeit, die gerade hergestellt wird, darf nicht einfach einen Ruck machen. Es gibt so Schnittmethoden gerade bei Fernsehspielen, wo Gegenschnitte gemacht werden, und man sieht eine Nahaufnahme von einem, der spricht, und eine Nahaufnahme vom anderen, der spricht, und dann kommt der erste wieder und man sieht genau, dazwischen ist für ihn Zeit vergangen, der hat seinen ganzen Text runtergesprochen. Das ist sowas Scheußliches, was mich immer wütend macht. Es ist ganz gleich was für ein Film es ist, aber ich finde es so wichtig, daß eine Loyalität gegenüber Zeitabläufen da ist, auch wenn die Sachen ganz künstlich hergestellt sind, wenn es gar keine Realität ist. Daß man sich gerade deswegen an bestimmte Regeln halten muß. Seh-Regeln hauptsächlich.
Wim Wenders im Gespräch mit Heiko R. Blum

Jean-Marie Straub: Die Augen wollen sich nicht zu jeder Zeit schließen oder Vielleicht eines Tages wird Rom sich erlauben seinerseits zu wählen

Einstellungen, die man aneinanderreiht oder aneinander klebt sind Gedanken. Eine Idee steckt im Bildausschnitt, in der Einstellung, eine moralische Idee. Da muß man wissen, wie man sich zu der Sache, die man filmt, überhaupt stellt, einstellt, welche Einstellung man dazu hat.
Jean-Marie Straub im Gespräch

...jedoch habe ich den Glauben an all die modernen Filmschöpfer überall auf der Welt nicht verloren und bemühe mich im stetigen Kampf einer der ihren zu sein.
Rosa von Praunheim: Film der Welt

Eine Hauptproblem beim Schreiben ist wohl, daß die sonst nicht so wichtige Frage, wer hier eigentlich spinnt, wir oder die anderen, plötzlich in den Vordergrund tritt und die selbstverständliche Entschlossenheit beeinträchtigt, sich darüber keine überflüssigen Gedanken zu machen.
Uwe Nettelbeck: The Flesh Of The Orchid

Alles sehr ernst, alles sehr schwerwiegend, allerdings so schwerwiegend auch wieder nicht, vielleicht nicht das Ernsteste was es gibt.
Christian Enzensberger: Die Sache mit der Literatur, die Sache mit der Person
 
 



 
JEDER TAG SCHREIBT EINEN

NEUEN UND ANDEREN TEXT.

(4.6.1980)
 
 



 
SCHREIBEN
 

ohne Buchstaben aufs Papier zu malen; keine SchriftZeichen. Literatur die sich im LEBEN ausdrückt, in den Körperbewegungen, im Gehen ... Kein Eifer, sondern ein Vorübergehen, ein Hauch, ein Streifen, ein Bewegtwerden von etwas, das nicht festgehalten wird. Deshalb die längeren Unterbrechungen in der Fortführung des Textes ohne Ende. Text ohne Ende. Fortschreibung. Keine Bücher. Nur ein Buch. Alle Texte sind Teile eines Buches. Alle Bücher sind Teile eines einzigen Buches in mehreren Fortsetzungen...
 
 



 
DER ROTE FADEN
 

What did you see there?
/ Die Frage, ob ich ein Gedicht oder einen Prosatext schreibe / geschrieben habe, ist so überflüssig wie ein Kropf und braucht nicht weiter verfolgt zu werden. Was macht es aus, ob die Zeilen   v o l l  geschrieben werden, ob die ganze Fläche des Blattes, das vor mir liegt, ausgenutzt wird oder nicht. Auf die Straße kann ich nicht schauen, die Sicht ist mir glücklicherweise versperrt. Mit meinen Gedanken, ebenso wie mit meinen Blicken stoße ich immer wieder auf bereits Bekanntes, das mir sogleich überflüssig vorkommt. Oh, wie ist es herrlich, den Gedanken die Leine abzunehmen und sie laufen zu lassen; auch wenn sie nur am nächsten Baum das Bein heben und dann wieder zurückkehren. (»Was geschah mit Trotzki? - Ihn traf ein Eispickel!«) No more heroes! Musik und Farben im Kopf und bevor es ganz aufhört schnell noch einen Schluck aus der Flasche. Wann werde ich mein Thema finden?
(13.9.1980)
 
 



 

DER BERUF DES KRITIKERS
 

...die Erfahrung (und nicht nur jetzt und nicht nur einmalig), daß ich während einer Lektüre Resultate etlicher eigener Denkvorgänge/-prozesse finde.

Ich denke 2+2 und finde 4.

Beispiel:
Kritiker, Filmkritiker gäbe es heute nicht mehr, nirgendwo. Sadoul sei noch einer gewesen, ein Reisender. Allenfalls Bazin, der letzte, der nur um der Filme, und des Kinogehens willen geschrieben habe, selbst er und Truffaut schon nicht mehr, denn auch sie hätten die Kritik verlassen, das Metier verlassen, und dies könne man nicht, wenn man schreibt.
Hanns Zischler: Godard, Pressekonferenz, in: Filmkritik Nr. 297, München, September 1981, Seite 393

Die Entwicklung war klar, das Ergebnis auch; nur der Grund fehlte: Ein Verräter, der das Lager wechselte?
Verlockend schon (für einen Filmkritiker) GELD angeboten zu bekommen, um einen Film machen zu können. Nicht immer nur schreiben zu müssen über das, was zu machen einem selbst versagt blieb/bleibt. Verlockend schon, aber entschuldbar? Kritik erfordert den ganzen Menschen; kein Nebenberuf.

Beispiel
eines Kritikers: Lessing;
weiteres Beispiel: A. Bazin;
drittes Beispiel: Karl Kraus.
(17.11.1981)
 
 



 

VORHER / NACHHER -
ORIGINAL UND FÄLSCHUNG

 

Ein Kollege bat mich, für die ortsansässige Zeitung eine Kurzkritik zu schreiben über ein Stück, das er mit seiner Schulspielgruppe aufgeführt hatte. Ich schrieb den Text, er gab ihn (zusammen mit einem Foto bei der Zeitung ab. Der zuständige Redakteur nahm den Text und das Foto an.
Vier Tage später erschien ein verkrüppelter Text ohne Foto.
Obwohl die Änderungen am Text nur geringfügig scheinen (für einen Außenstehenden): doch wieder einmal die Erfahrung: die Unverschämtheit derer, die über die Produktionsmittel verfügen können.
 
 

GESCHICHTSUNTERRICHT AUS DER SICHT VON KINDERN
Die Schulspielgruppe des Anna-Gymnasiums spielt 'Lazarillo'
 

Die Geschichte, die sich die Schulspielgruppe des Gymnasiums bei St. Anna für ihre diesjährige Produktion ausgesucht hat, ist sehr alt. Es geht um die erstmals 1554 veröffentlichte Geschichte des Lazarillo von Tormes. Von seiner Mutter an einen blinden Bettler verkauft, durchläuft der Junge die 'Schule des Lebens' und steigt am Ende seiner Karriere auf zum Bettlerkönig.
Die Geschichte ist sehr alt, aber auch sehr modern. Beide Aspekte traten in der hervorragenden Inszenierung Christoph Wagners deutlich in Erscheinung. Wenn Lazarillo sich mit den schäbigen Resten, die ihm von den Erwachsenen zugesteckt werden, begnügen muß, so entspricht dem eine 'Hungergala', die auf einigen im Zuschauerraum aufgestellten Fernsehgeräten zu sehen ist. Da treten auf zugunsten (!) hungernder Kinder z.B. die Volksliedinterpreten Helmut & Hannelore. Es gibt auch eine Benefizschallplatte: Nicht einmal 10% gehen an die Hungernden. Die Schallplattenindustrie verdient gut an der Not.
Wir werden konfrontiert mit einer alten Geschichte und müssen erkennen, daß sich in über 400 Jahren nichts geändert hat. Den Erwachsenen wird durch das Spiel der Kinder ein Spiegel vor Augen gehalten, der ihnen, wenn sie sehen können, klar macht, daß sie versagt haben. Unterhaltendes Spiel (auf der Bühne) und Information (auf den Bildschirmen) gingen eine glückliche Verbindung ein.
Vor der Bühne saßen die Kleinen: die, die noch nicht oder gerade eben zur Schule gehen. Ihre begeisterten Reaktionen zeigten deutlich, wie gut die 'Botschaft' des Stückes verstanden wurde. Der anhaltende Applaus am Ende machte klar, wie sehr die Begeisterung, die die jungen Schauspieler erfaßt hatte, auf das Publikum übergegangen war.

Fazit:  Neunzig Minuten lang zeigten junge Schauspielerinnen und Schauspieler wie man in der Schule auf sehr unterhaltsame Art und Weise wirklich einmal fürs Leben lernen kann.
 

Der Text erschien unter dem Titel 'Der Aufstieg zum König der Bettler' am 18.7.1988 in der Nr. 163 der 'Augsburger Allgemeinen'. Das 'Fazit' wurde gestrichen. Der letzte Absatz erhielt die Überschrift 'Begeisterte Reaktionen'.
 
 



 

DER FLUG DER MÖVE IM TRAURIGEN CAFÉ
 

william hat schon am tisch platz genommen, während julia noch suchend umhergeht, dann aber auch einen tisch vorzieht und sich hinsetzt. beide schauen aneinander vorbei, suchen nach etwas unbestimmten. eine möve fliegt durchs café. ob der trinker wohl kommt? ein schwall unsinniger worte dringt in uns hinein, bringt uns zum reden. der trinker war also schon da. »nun nimm doch endlich die tabletten! Tabakkrümel beiseite schiebt und die zigarette vorerst unangezündet auf dem tisch liegen läßt. »ein gefühl als ob (als ob!) man sterben müsse!« julia weiß nicht wohin mit ihren fingern. wir müssen uns berichtigen: der trinker ist mit uns in das café hineingegangen. wir haben weder auf ihn warten müssen, noch hing sein mantel in der garderobe, noch hat julia sich nach ihm umgeschaut. william versteht überhaupt nichts mehr; stellt sich tot. »langsam zerbröselt die zeit.« ein gespräch beginnt, und william, der laie, sitzt sprachlos (ohne sprache) auf seinem stuhl herum. »zieh dich aus!« julia war einmal zu dem trinker ins bett gestiegen; jetzt meint sie, sie könne nicht mehr loskommen. »dieser ekelhafte geruch des klebstoffes.« der trinker erzählt von seinen zahnschmerzen. williams schädeldecke beginnt sich zu heben und zu senken; er sieht ganz verstört aus und schlürft nur widerwillig seinen kalten kaffee. »turbulenz im unendlichen.« das gespräch verläuft undendlich diszipliniert, jeder gibt sich die größte mühe, die äußerste gereiztheit (zumindest auf william trifft dies zu) zu überspielen. »cool!« sie haben ihre spiele gespielt und william getötet. anspielungen fallen unter den tisch, wo william sie nicht finden kann. »der flug der möve im traurigen café.« er kann es immer noch nicht begreifen, versteht es einfach nicht, sein kaffee ist ihm zuwider geworden, er will mit julia schlafen, die aber bereits in einem anderen bett liegt. unruhig rutscht william auf seinem stuhl hin und her. julia und der trinker versuchen, ihn zu überlisten. die blutige sonne in williams hirn zerfließt zu einem schmierigen brei. william will mit julia sprechen, bekommt jedoch keine antwort. »so bereitet jeder seinen eigenen abgang vor.« gelbe und rote und gelbrote flüssigkeit tropft aus dem munde williams, der gereizt in seiner tasser herumrührt und sich einen dreck darum kümmert, was hier mit ihm geschieht. »im aschenbecher häufen sich die kippen. mit einer lässigen bewegung läßt sie ihren bh fallen und steigt zu ihm ins bett und...« masochismus ist für william zu einem zauberwort geworden: sich immer mehr hineinsteigern können in die geistige und körperliche peinigung bis an die grenze des möglichen, um dann, mit einem einzigen satz, diese grenze zu überschreiten und in die tiefste hölle hinabzufahren. das denken peinigte sein gehirn schon lange; ja: soweit er zurück denken konnte, waren ihm seine gedanken eine einzige qual gewesen. nun, hier, in diesem café mit all den blöden menschengesichtern rund um ihren tisch, kam ihm diese erkenntnis mit übergroßer klarheit wieder zum bewußtsein (wohin?). »tiefe bewußtlosigkeit ist das erstrebenswerte ziel eines menschen.« nach dieser maxime versuchte er zu leben, zu denken. doch hier: einer bekommt zahnschmerzen, einer ißt eine zitronenscheibe und geredet wird über alles mögliche. diese ganz und gar erbärmliche verlogenheit, diese ganz und gar verlogenen menschen! eine ungeheuere aufregung, auf einmal, im ganzen raum; einer läßt seine hose runter und alle anderen schauen gelassen zu. der trinker erklärt william wie man fotos selber entwickeln und vergrößern kann, was die ausrüstung kostet, die man dazu benötigt, und andere unwichtige sachen. auf die möve achtet keiner mehr. keiner. die unruhe hat sich gelegt. »ein flüchtiger kuss hinter der hausecke; was macht das schon?! reg dich bloß nicht auf, wegen soner kleinigkeit aufregen, wo kämen wir denn da hin?!« william hat sich langsam an den raum gewöhnt; der trinker dreht seine zweite zigarette und lächelt julia verständnisvoll zu. »was geht hier vor?« dies alles ist nicht frei erfunden; übereinstimmungen mit der wirklichkeit und lebenden personen sind durchaus beabsichtigt. eine geschichte hat ihren anfang genommen irgendwo und wird irgendwann einmal zuende erzählt werden müssen. zu einer zeit, die absehbar ist. william ist in sich zusammengesunken, schiebt ein stück zucker in den mund. julia rutscht unruhig auf dem stuhl hin und her.

(geschrieben: Ende 1973)
 
 



 

NEUES VON WILLIAM

genannt William S. Cody alias Buffalo Bill
oder:
Die Morgensonne tötet auch den erhabensten Gedanken.
Eine amerikanische Geschichte, die in Europa spielt.
Ansätze.

 

Alle Jahre wieder, wenn die Germanen auf die große Völkerwanderung gehen, holt William seine Ausrüstung hervor und reitet gen Norden, den unermeßlichen Weiten der finnischen Wälder entgegen. Jeden Mittag gibt es Gänseleberpastete und jeden Abend Truthahnbraten. Niemand hat ein Recht, zu erfahren, was William denkt, fühlt, etc. Nur durch genaue Beobachtung können wir uns ein BILD machen.

Durch vorbereitende Aufzeichnungen machen wir uns bereit, einer Geschichte zu folgen, die folgen wird. Wörter und Sätze bringen uns auf Gedanken, die uns zu Bildern führen. Früher oder später machen wir uns ein BILD. Wir müssen uns einstellen auf eine Geschichte. Eine Person in einer Geschichte hat ihr Verhalten geändert: wie wird sich unsere Einstellung zu ihr und ihrer Geschichte ändern? Allerdings: ist nicht die Geschichte einer Person gleich der Geschichte, die erzählt wird? Die erzählte Geschichte ist immer mehr als das, was in ihr vorkommt: die Geschichte einer Person z.B.

So ist William auch nicht die Geschichte, in der er VORKOMMT : vielleicht kommt er auch in der zu erzählenden Geschichte gar nicht vor.

Nicht die, sondern  e i n e  amerikanische Geschichte soll erzählt werden; oder besser: einer Geschichte soll amerikanisch erzählt werden. Was heißt amerikanisch? Für mich wohl eine Vorstellung, wie ich sie vor allem aus amerikanischen Filmen gewonnen habe.

William saß jeden Abend mit Julia auf der Terrasse, um zu sehen; einfach nur die Augen aufmachen, sagte er sich, mach einfach nur die Augen auf, du wirst schon etwas zu sehen bekommen. Der Trinker war schon lange verschwunden, da hatten William und Julia wieder zueinander gefunden, wie auch in dem bekannten Märchen nachzulesen ist. (Ansätze, die Geschichte einer Person (William) aufzuschreiben, sind Ansätze, eine Geschichte zu schreiben.) Auch wenn es nur die Berge und ein großer See waren, was er zu sehen bekam, er machte sich ein Bild. Er machte sich ein Bild von sich und der Welt - so wie er sich und die Welt sehen (!) wollte. Er gelangte zu voller Übereinstimmung zwischen Denken und Fühlen (Harmonie!) und versetzte sich so in die Lage, die Welt wieder unbefangen sehen zu können. Es gab viel zu tun für ihn. Nach einem längeren Aufenthalt in den Bergen ging er wieder in die Stadt, um eine Geschichte schreiben zu können.
 
 



 

ROMAN
 

William steht auf, nimmt sich das Handtuch, geht ins Bad und verschwindet für lange Zeit. Olga macht sich auf die Suche und findet ihn Stunden später am Fluß. Mit verzweifelten Rufen versucht er, sich frei zu machen. Läuft los und fällt ins tiefe Gras. Wieder verschwunden. Doch Olga gibt nicht auf und findet ihn nach einigen Tagen in einem Café bei der Lektüre eines pornographischen Romans. William vergißt sich und schlägt zu. Olga liegt blutend am Boden und nimmt nichts mehr wahr. So nimmt alles einmal ein Ende.
 
 



 

KIRSCHBLÜTEN
 

1.
Wir wollen doch mal sehen, obs weitergeht, wie? Geh weiter, mach ein Ende mit deinem bisherigen Leben, such und finde Genossen, die dir helfen!

2.
Ein Wind fegt ums Haus, die Autos verirren sich von der Auto-bahn, die Hühner laufen aufgeregt im Gras umher, die Zeiten ändern sich.

3.
Wir müssen vorsichtig sein, sonst werden wir überrollt. Achtgeben! Früh aufstehen, nachdenken, ins Kino gehen! wie Harun Farocki sagt. Der Kampf hat begonnen.

4.
Der Wind treibt Kirschblüten vor sich her; plötzlich wird es dunkel. Der Revolver in meiner Hand wird mir schwer, die Beine knicken ab und ich liege im Gras. Ohmächtige Wut über die eigene Ohnmacht. Nichts ändern können und doch nicht aufgeben.
 
 



 

MARY ANNE. ROMAN

Um es gleich vorwegzunehmen:
Diese Aufzeichnungen sind absolut
unsittlich.

S.M.Eisenstein

 

1.

Gut!: Du sollst haben, was du haben willst: eine Geschichte: Nichts leichter als das! Aber wie?

Du kommst zur Tür herein, siehst dich um, nimmst deine Arbeit auf, machst weiter, setzt einen Satz neben den anderen, ...

Es ist soweit!

Eines guten Tages wußte ich nicht weiter und machte mich deshalb auf den Weg. Natürlich wußte ich nicht, wohin ich gelangen würde. Aber darauf kam es jetzt auch nicht an. Ich stolperte also los. In weiter Ferne blinkte ein Kirchturm auf: Nanu, dachte ich, was soll das! Das passt doch gar nicht in den Rahmen, das gehört doch ganz woanders hin. Schweine liefen mir über den Weg. Das ging schon besser. Bald tauchte auch schon das erste Haus auf. Zu. Auf. Jetzt aber nichts wie rein. Rein. Sauber. Sauber hatten sie mich reingelegt. Das durfte ich mir nicht gefallen lassen. Ich tat, was ich tun mußte. Ein rostiges (rostige Farbe abgeblättert) Tor knarrte. Verlassen. Kommen. Rost. Gehen. Knarren. Oh du ja. Dann komm! Machs ohne zu zögern. Endlich. Ja!

den Weg   zurück   im Dunkel   liegt   der Wald   ein Mann   unter   einem Baum   die Welt   stürzt   der Mann   steht auf

Er macht sich fort. Weit fort. Dorthin gehen sie immer, wenn die Gräser zu zittern beginnen. Wir werden schon vorwärts kommen. Soweit ist es ja nicht. Wenn wir unsere Ruhe nur nicht verlieren, auf keinen Fall dürfen wir unsere Ruhe jetzt verlieren. Das Gras, das Gras ist zu hoch und zu dicht. Es geht nicht mehr weiter. Eine Spur zeichnet sich deutlich ab hinter ihm (mir?). Vor ihm (mir?) Gras, undurchdringliches Gras. Er (ich?) fällt und steht wieder auf. Er (ich?) macht sich fort, weit fort.

den Weg   zurück   im Dunkel   liegt  der Wald   ein Mann   unter   einem Baum   die Welt   stürzt   der Mann   steht auf

Frisch gestrichen. Verwilderter Garten. Lautes Gesumme von Insekten. Was denke ich mir (er sich) bei diesen Vorgängen? Gang. Sie kam in ekstatischer Verzückung die breite Treppe hinuntergeschritten. Was denke ich mir (er sich) bei diesen Vorgängen? Inwieweit kann ich meine (er seine) Gedanken noch kontrollieren?! Also nun: Dieses Haus setzte mich (ihn) in Erstaunen. Ich (er) bekam Kopfschmerzen. Mir (ihm) wurde ganz wunderlich im Kopf. Kann man da was machen? Nein, dieses Haus! Zwei. Zwei undurchsichtige Punkte in den Gardinen besagen noch nichts. Das Dorf besteht natürlich nicht nur aus diesem Haus.

Da stehe ich also auf der Brücke: Unter mir ein kleiner Bach und über mir der Himmel. Was macht man mit einem solchen Bild? Läßt es sich verwerten? (Du darfst, hörst du, diese Frage nie stellen!) Links beginnt die Straße. Rechts geht sie weiter. Da kommt ein Mann auf einem Fahrrad vorbei. Eine Katze läuft hinter ihm her. Der Mann scheint von der Sonne geblendet worden zu sein; da findet er sich am Straßenrand wieder: die Katze ist verwundert, sie weiß nicht, was sie jetzt machen soll. (Diese Geschichte ist natürlich dem Kater Murr gewidmet.) Jetzt steht der Mann wieder auf und 'klopft sich den Staub von den Kleidern'. Und fährt weiter.

Ich gehe weiter. Das ist also das Gasthaus zum... Gehe ich rein; gehe ich nicht rein; ...

Ich gehe weiter und stehe vor dem Gasthaus zum... Gehe ich rein; gehe ich nicht rein; ... Ich gehe rein. Als ich wieder draußen bin, ist es noch wärmer geworden. Also stolpere ich weiter. Bis ich an ein Kartoffelfeld gelange. Ich werfe mich auf den Boden. Ich schlafe ein. Ich träume nicht. Oder besser: Ich glaube nicht, daß ich geträumt habe. Ich werde wach. Ich stehe auf. Ich gehe weiter. Ich komme an. Ich bin da.

(Hast du auch gut aufgepasst???)

Den Filmvorführer kannte ich schon von einigen früheren Besuchen in dem Dorf. Er wollte mir heute einen eigenen neuen Super 8 Film zeigen. Aber es war noch ein langer Weg zurückzulegen. Da war auch der Mann auf dem Fahrrad wieder. Und die Katze. Weiter 'auf staubiger Straße unter brennender Sonne'.

Verstehtst du mich auch? Ganz bestimmt???

Dann also weiter!

Also weiter im...! Daß es soweit kommen mußte! Das hätte ich mir auch denken können!

Ich fahre nun fort und gehe ins Kino und sehe mir einen Film über eine Stadt im Himmel an. Neben mir sitzt Mary Anne With the Shaky Hand. Es ist ein sehr schöner Film mit unendlich traurigen Geschichten und Bildern. Das erinnert mich an ... Doch soweit ist es noch nicht. Das ist der allmähliche Verfall der Sinne. Langsam. Als ich aus dem Kino komme ist die Hitze unerträglich geworden. Mich weckt das Geräusch der vorbeifahrenden Autos. Eine Fliege versucht vergeblich durch eine Schaufensterscheibe zu fliegen. Es sind wenig Leute auf der Straße. Die Autofahrer beginnen, die Fensterscheiben hochzudrehen. Der Duft von Rostbratwürsten lockt einige vorübergehende/vorbeigehende Passanten zu einem kleinen Imbiß. Ein Franziskanermönch radelt vorbei. Ohne Katze. Ich stehe auf einem größeren Platz. Nun gehe ich weiter. Langsam. Eine Fliege versucht vergeblich durch eine Schaufensterscheibe zu fliegen. Die Autofahrer beginnen, die Fensterscheiben hochzudrehen. Es sind wenig Leute/Menschen auf der Straße. Langsam. Ich stehe auf einem größeren Platz. Ohne Katze; eine Fliege versucht vergeblich durch eine Schaufensterscheibe zu fliegen. Ohne Katze. Radfahrer. Rostbratwürste. Hochdrehen. Imbiß. Verfall...

Nun gehe ich doch weiter.

Wenns hoch kommt, sind es doch nur einige wenige, die sich an dieser Aktion beteiligen. Wir müssen uns doch immer nur auf die gleichen Typen verlassen. Wir sind doch auf sie angewiesen. Was sollten wir sonst machen?!

Stillstand.

Die unermüdlichen Ameisen bahnen sich einen Weg durch das Unterholz. Der Vater steht mit seinem Sohn auf einer Waldschonung oder wie man das nennt. Verrückte Sache.

Nun weiter.

Nun bin ich auch bald wieder zu Hause. Ich werde mich beeilen. Noch vor Anbruch der Dunkelheit werde ich da sein. Ich werde mich sofort auf den Weg machen, damit ich mein Ziel auch rechtzeitig erreiche. JaJaJa, ich bin bald da!
 

2.

Fliegen fliegen. Mächtige Bäume versperren mir den Weg, dichtes Unterholz wuchert zu beiden Seiten des Weges; ein Abkommen ist unmöglich, an Entkommen nicht zu denken. Der Regen prasselt/klatscht seit einigen Stunden mit großer Wucht auf das Gras. Gehen wir weiter; lassen wir uns nicht aufhalten. Ein mieses Wetter. Kurze Sätze nehmen mir den Atem für längere; doch ich gebe nicht auf. Fliegen fliegen fliegen. Motorschaden. Regen prasselt. Mir ist schon ganz schlecht geworden. Die Gräfin kann nur noch mit Mühe gehen. Das wird vielleicht ein Fest! JaJa! Wer will da... Nun wollen wir mal sehen. Ein flaues Gefühl im Magen. Magenbitter für die Gräfin. Die Autofahrer beginnen die Scheiben heraufzu.../zu schließen. Wir...wir...wir gehen auf der anderen Straßenseite weiter. Überall stoße ich an. (?) Man reicht mir handgemalte Postkarten. Wir gehen auf das nächste Kino zu. Wir wollen mal kurz hineinschauen. Wir wollen sehen, wir machen uns auf den Weg. Mal ein reine, asketische Prosa schreiben können. Der da verliert doch sein Hemd mitten auf der Straße. Seine Beobachtungsgabe hat ihn verlassen. Was soll ich tun? Ohne mich. Nebenan wird schon wieder ein Haus gebaut. Der Weg ist immer noch nicht befestigt. Die Baukräne zerstören die Landschaft. Platterdings sagt man hier. Wir erheben uns von den Plätzen und verlesen das neue Gedicht. Ein riesengroßes Plakat. Noch bin ich nicht soweit gekommen, die Dinge um mich herum zu beschreiben. In der Stadt bin ich ja schon; oder sagt man besser 'Ortschaft'?! »Ich gehe ins Kino und sehe mir einen Film über eine Stadt im Himmel an.« Ich stehe auf und gehe hinaus. Der Film läuft weiter. Ich gehe. Wir steigen ins Auto und fahren nach Hause. Du schließt die Tür hinter dir und läßt mich allein zurück.

3.

Soweit ich mich zurückerinnern kann, bin ich wie geboren für Entsetzen und Erschrecken gewesen. Holzscheite lagen weit verstreut, still von der Sonne beschienen, draußen im Hof, nachdem ich vor den amerikanischen Bombern ins Haus getragen worden war.
Blutstropfen leuchteten an den seitlichen Haustorstufen, wo an den Wochenenden die Hasen geschlachtet wurden. In einer Dämmerung, um so fürchterlicher, als sie noch immer nicht Nacht war, stolperte ich mit lächerlich langen Armen den schon in sich zusammengesunkenen Wald entlang, aus dem nur die Flechten an den vordersten Baumstämmen noch herausschimmerten, rief ab und zu etwas, indem ich stehenblieb, kläglich leise vor Scham, und brüllte schließlich aus der tiefsten Seele, als ich mich vor Entsetzen nicht mehr schämen konnte, in den Wald hinein nach jemandem, den ich liebte und der am Morgen in den Wald gegangen und noch nicht herausgekommen war, und wieder lagen weit verstreut im Hof, auch an den Hausmauern haftend, im Sonnenschein die flaumigen Federn geflüchteter Hühner herum.

Peter Handke: Der kurze Brief zum langen Abschied, Frankfurt/M 1972, Seite 9-10

4.

Wir steigen ins Auto und fahren nach Hause. Du schließt die Tür hinter dir und läßt mich zurück.
 

Wir haben uns aufgegeben an einem schönen Sonntagnachmittag. Die Sonne schien. Was soll ich denn noch sagen?
 

5.

Auf dem Fundbüro finden wir unsere verloren geglaubten Gespräche wieder. Leicht angestaubt, aber doch vertraut, bekannt. Wir tragen sie mit großer Behutsamkeit in unsere Wohnung und betrachten sie liebevoll. Wir haben uns nicht aufgegeben, obwohl wir uns verloren hatten. Die allgemeine Schamlosigkeit konnte uns nichts anhaben. In unserer irren Welt bekommt keiner das Gastrecht. Wir schließen uns ein und versuchen, uns nicht aus den Augen zu verlieren. Am späten Nachmittag gehen wir dann noch einmal den Weg, den wir früher immer gegangen. Vorbei an dem Maisfeld, den Gasthäusern, dem See. Wir gehen in das uns so bekannte Dorf zu unserem gemeinsamen Freund, dem Filmvorführer. Wir setzen uns zu ihm in seine Kabine und sehen uns einen Film an. Wir essen wieder (wie damals) eine Rostbratwurst, wir sehen den Franziskanermönch auf dem Fahrrad. Ohne Katze. Wir richten uns ein. Wir stoßen uns an nichts und nehmen an niemandem Anstoß. Unsere Gleichgültigkeit ist zu einem Gesetz geworden. Nichts kann uns mehr aus der Fassung bringen. Wir sind abgehärtet. Die Sätze treffen und verletzen uns nicht mehr. Wir können jetzt ohne weiteres im Plural sprechen. MARY ANNE: so heißt unsere Vergangenheit, die für andere immer ein Rätsel bleiben muß, die keiner verstehen wird. 'Mary Anne With the Shaky Hand'. Kennt sie jemand? Wer hat sie jemals besucht in ihrer Wohnung in der Stadt im Himmel? Die Sätze fügen sich widerstandslos zu einem Ganzen zusammen. Wir verstehen unsere Vergangenheit, ohne sie begriffen zu haben.

ICH aber bin an MARY ANNE gescheitert.
 

geschrieben: Juni-Oktober 1972;
korrigiert: Februar 1983
 
 



 

WILLIAM-Fragmente
 

ES WAR EINMAL ein Mädchen, das von niemandem geliebt wurde; so meinte sie jedenfalls. Sie glaubte aus tiefster Seele an das, was sie »das Schlechte im Menschen«.

AUF JEDEN FALL: William kam klar mit ihr, ging auf sie ein, änderte ihre Position jedoch nicht; aber: er ließ sich auf sie ein, was so viel heißen soll, daß er sich auf sie verließ. Und das war kein Fehler... (1979)

ES WURDE SCHON KALT, regnete ununterbrochen, so, als ob (na ja!) der Himmel ihr Vorhaben segnen wolle. - Mittags kamen sie an und nicht unter. Und wußten nicht wohin. Eine halb verfallene Ruine: ihr Haus. Kein guter Anfang für einen Anfang. Ins Hotel gehen. Schlafen. Jeder für sich. Und beide froren. Und schliefen doch nicht miteinander. Und das zwei Tage lang; und noch länger über Jahre hinaus, was niemand begreifen wird und auch nicht soll. Der Anfang war gemacht und der Anfang war schlecht... (1979)

DIE STUMMHEIT war ihre einzige Kommunikationsmöglichkeit: bis zur völligen Selbstaufgabe: wie sich später (nach Jahren) herausstellen sollte... (1979)

ER LIEBTE ununterbrochen; konnte keine Pause einlegen, konnte nicht mehr atmen vor lauter Anstrengung; die Luft bliebt ihm weg; als es vorüber war, starb er. Es gibt ein Foto von ihm: aufgebahrt, zurechtgemacht, fertiggemacht... (1980)

»WIR GEHEN IMMER, jeden Tag, vorwärts, kommen aber nie an; wo sollten wir auch ankommen? Welches Ziel sollten wir uns set-zen?« sprach William zu Julia als sie (beide) wieder einmal nicht weiterwußten... (1980)

WARNUNG: was sie dir andrehen wollen ist doch nur ein anderes Leben. Du sollst dein jetziges Leben gegen ein anderes eintauschen. Und sie werden dir auch Glück versprechen; viel mehr Glück als du jetzt hast. Und dabei spielen sie sich als Richter auf, als Richter über dein momentanes Glück. Sie versprechen dir viel; und wenn du ihnen gefolgt bist, dann wirst du auch dein vergangenes Glück verachten. Erst wirst du ein Nichts, dann wirst du so wie sie sich vorstellen, daß du bist. Sie helfen dir, DU SELBST zu sein. Aber: wie bist DU wirklich? DU bist wirklich. DU bist der Mittelpunkt. Und ihr »Erkenne dich selbst!« wird zu deinem  »Erkenne dich selbst!« gemacht. Sieh zu, daß DU es ohne ihre Hilfe schaffen kannst! Du kannst es!... (1981)

Fortsetzung folgt nicht
 
 



 

TÄTIGKEITSWÖRTER
 

Zu Wort kommen - die Sprache nicht verlieren (können) - das Unmögliche versuchen - Wörter und Sätze finden für einen Verlust.

1
Da sitze ich und verliere mich selbst aus den Augen. Eine(r) ist gegangen, kommt nicht mehr wieder...
Die Unauffälligkeit meiner Lage...
Sich verlassen fühlen und es auch sein...
Sich bemitleiden...
Versuchen, sich durch das Aufschreiben von Sätzen zu heilen! Versuchen, eine Trennung durch zu Sätzen geformte Gefühle aufzuheben, zu überwinden...
Das Scheitern dieser Versuche feststellen.

2
Aufstehen, den Kaffe bezahlen, ins Kino gehen, etwas Sinnloses anstellen, sich in die Sonne legen; wieder und wieder ins Kino gehen. Den Verlust trotz allem nicht überwinden. Mit 'Menschen' reden. Sätze über den Verlust formen, sie in die Luft werfen, damit spielen; aber doch nur immer mehr verzweifeln.

3
Dann aber (auf einmal) werde ich ganz ruhig und finde wieder zu mir selbst. Auf einmal ist alles ganz klar, die Gründe einsehbar, verständlich. Wieder rede ich zu anderen von meinem Verlust.

4
Dann (auf einmal) ohne vorher daran zu denken, setze ich mich ins Auto, fahre los und komme auf dem Flughafen an. Von nun an werden die Dinge immer sinnloser, immer unverständlicher. Ich bin nicht mehr ansprechbar, fahre bei jedem Geräusch auf, lasse alles liegen und stehen, döse nur noch vor mich hin, gebe der Katze nichts mehr zu fressen. Dann wieder packt mich die Arbeitswut. Dann wieder falle ich in sinnlose Träumereien, schaue alte Fotos an. Der Zustand dauert an.

5
Unruhig, unentschlossen.
verfahren, verpfuscht...
...im Bett liegen.
Der Kaffe wird kalt und
der Magen gibt seltsame
Geräusche von sich.
Die Eierschalen liegen
auf dem Teppich Zeitungen zerfleddert.
Viermal am Tag schaue ich in den
Mülleimer
nach Post
die Briefe
mühselig zu lesen
machen unruhig töten langsam.
Frost zieht ein in die Glieder.
Kälte in allen Räumen.
Versteckspiel der Kleider.
Unruhiggewordene Geschlechtsteile.
Verpfuschte Erotik.
Sexualität unter dem Kanaldeckel.
Sinnlose Wörter
in sinnloser Umgebung.
Weiterschreiben!
Arbeitstherapie!
Zack!
Vielfältige Muster durchziehen
nachts meine Träume
fern von dir
Sätze über einen Verlust
verloren
spielt das Kind auf der Wiese.
Der bei einem Autounfall ums Leben
gekommene erscheint
um Mitternacht und
zerstört meine Hoffnungen.

6
Nichts,
aber auch rein gar nichts!
ÜBELKEIT UND ERBRECHEN.
Mehr nicht.

7
Vielleicht löst sich diese ganze Angelegenheit früher oder später doch einmal in NICHTS auf. Sehr wahrscheinlich bleibt nur noch ein übler Geschmack im Mund zurück, MUNDFÄULE. Sicher sind dann auch diese Sätze sinnlos geworden; so wie sie jetzt schon überflüssig scheinen. Zu meiner Verteidigung weiß ich dann nichts mehr vorzubringen. Zurück bleibt: namenloses Erschrecken und Verstörung; ein Entsetzen über die eigene Sprachlosigkeit, die mit weit aufgerissenem Mund vergeblich nach Hilfe schreit.

8
Asche häuft sich
zu kleinen Hügeln.
Staub liegt
auf den Kleidern.
Das weiße Hemd
des Reklame-Cowboys wird
achtlos in die Ecke geworfen.
Der Kopf wird langsam schwer
und sinkt
auf die Brust.
Das Hirn dröhnt.

9
DER KOPF GEFRIERT

10
FROST

11
TOD - EINSAMKEIT - TOD

12
Ob und wie sich die Verhältnisse ändern ist noch nicht zu sagen
daß sie sich ändern müssen, steht außer Zweifel!

13
Vergebliche Sätze
über einen Verlust
Tätigkeitswörter
 
 



 

TEXT
 

Du hast so ein Lachen
im Gesicht, das ist einfach nicht mehr zu
ertragen.
Wir dürfen einfach nicht auf die Ostgebiete verzichten! So! Deine Freigebigkeit überrascht mich. Grins nicht so unverschämt,
du Lausejunge.
Wir wollen Schluß machen mit den Experimenten, wir wollen wieder eine solide Grundlage haben. Eier mit Speck. Bitte wenden. Die Arbeit kam nicht wieder raus. Kurze Sätze sind besser als gar keine. So! Wer will sich freiwillig opfern? Nun zier dich nicht so! Los! Komm! Na endlich!
Unser Staatsoberhaupt
ist enthauptet worden.
Mir machts Spaß.
Das ist die Hauptsache.
Hopp hopp hopp Reiter lauf Galopp!
Mach nur so weiter, du wirst schon sehen wo das hinführt. Wir wollen eine bessere Welt. Jawoll! Wir wollen uns doch nichts vormachen: es ist doch einfach unmöglich heutzutage noch ohne Schirm zu gehen, es regnet doch ununterbrochen, machen wir uns doch nichts vor. Warum stellst du die Musik schon wieder leiser?
Spontane Literatur: einfach so aufschreiben, was einem gerade so einfällt und hinterher darüber lachen können, eine gute Idee. Ich mache vorerst noch mal eine Viertelstunde weiter, mal sehen, wo das hinführt. Sich restlos verausgaben und hinter her nicht wissen was tun. So ganz dabei sein, mit allen Fasern des Gefühls. Das tut gut und ist eine gute Übung für den UmGang mit der UmWelt.
Nur nicht schwach machen, du kannst dich hinterher ausruhen. Wer will denn da schon wieder aufhören, die Zeit ist doch noch gar nicht rum. Du wirst schon sehen: hinterher hast du den Vorteil davon und kannst die anderen Leute auslachen. Warum nicht Leute. Meine Arme werden schwer vom Schreiben. Ich glaub ich schaffs doch nicht mehr drei Seiten vollzuschreiben. Das wäre doch gelacht. Die 'alte' Rockmusik hat es doch ganz schön in sich, da soll doch mal einer sagen, und überhaupt, ich weiß schon was ich sage. Weiß ich es? Du hast so ein Lachen im Gesicht, das ist einfach nicht mehr zu ertragen und ich wiederhole mich schon wieder. Das ist dieser Zwang zur Produktion, den wir abschaffen sollten. Diese Atemlosigkeit, dieses verrückte Rasen über die Tasten, abschaffen sollte man es. Und das Wasser gluckst schon wieder so verrückt, so verdächtig. Hörst du es nicht? Schwachsinn, alles Schwachsinn, was du da so hinschreibst. Na was solls denn sonst sein? So richtig saftig und kräftig. Ja, das ists, was mich begeistern könnte, nicht diese labbrige Literatur, wie sie heute in so verschwenderischen Massen produziert wird.
Schon wieder im alten Trott.
So, jetzt ist die Zeit vorbei und ich kanns langsamer gehen lassen.
Aaaaaaaaahhhh...das Röcheln eines verendenden Vampirs, nachts um ein Uhr auf Tonband aufgenommen! Dieses unterirdische Röcheln! Wunderbar!
AAAaaaaaaaaaaahhhhhhhhhhhHHHHHHHHHHHHHHHHHHHaaaaaaaaaaaaAAAAAAAH HHHHHHHHHHHHHHHHHHHHH!!!!!!!!!!!!!!!!UUUUUUUUUUUUUUUuuuuuuuuuuuuhhh HHHHHhhhuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuHHHHHHHHHHHHHH WhamPeng!Kracks!Schnüff!Peng!!!Ende.
Geschrieben am 12. Dezember 19.., nachmittags von 17.30 Uhr bis 17.46 Uhr.
Es geht weiter:

1
Manchmal wird mir ganz schwindlig von den unzählbar verschiedenen Arten und Weisen Literatur zu MACHEN. Unglaublich, was es da gibt. Man müßte alles mal ausprobieren. Wenn man Zeit hätte! Wenn ICH Zeit hätte! Aber das nähme wohl mehrere Menschenleben in Anspruch. Ich blicke da nicht mehr durch. Doch soll ich überhaupt...?
ZWISCHENSPIEL: hat dies eine Methode? Führt dies zu irgendwie nachprüfbaren Resultaten? Blicke ich durch? Schwer zu sagen, was soll man da machen, weiß nicht genau...

2
TURN ON:
das Zischen der Schlange
im Strohsack!
Machen wir uns doch nichts vor!
Die Musik ist wirklich im Vorteil!
Der ANDERE ist immer im Vorteil, er weiß mehr als du.
Man kann ihm nichts vormachen.
Du mußt höllisch aufpassen, sonst legt er dich rein.
Er weiß wie man so etwas anfängt, das Miststück.
Er weiß immer alles besser.
Er hat mehr Ahnung als du und hätte gewiß alles besser gemacht.
DER LESER.
DER LESER IST IMMER IM VORTEIL.
Ich weiß nicht weiter
                      Sollten wir vielleicht auf eine Kommunikation ver-zichten? Müssen wir die Sache um die es hier geht aufgeben? Schluß machen?
DER LESER IST IMMER IM VORTEIL.
Ich weiß nicht weiter
                      Es ist wirklich ermüdend, wenn man sich ein bestimmtes Pensum vorgenommen hat und dann einfach keine Lust mehr hat; an einem bestimmten Punkt setzts dann einfach aus.

3
inschrift, mit einem scharfen gegenstand aus dem lukendeckel herausgestochen
'vitus bering zog - weil es bitter kalt war - einen dicken handschuh über, dann meinte er, es sei ihm eine bärentatze gewachsen, und kam von sinnen.'

konrad bayer, der kopf des vitus bering

4
DER LESER IST IMMER IM VORTEIL.

5
Whiskey trinken
Musik hören
Rauchen
..........
das Leben leben
..........
 



 

TEXT ZWEI
 

Der, der da mit einem Affenzahn um die Ecke rennt, der ists gewesen, hinter dem müßt ihr herlaufen, wenn ihr das Vaterland retten wollt. Der ist der Übeltäter, der alles teuer macht, der Bösewicht, der Wüterich! Er ist der schwarze Mann, der alles kann. (Banalitäten) Faßt ihn, fangt ihn! Hängt ihn auf! Freßt ihn auf! Er ist unser Feind, der Feind unserer friedfertigen Gemeinschaft, der Tunichtgut, der Volksaufwiegler, der Anarchist. Ihr guten Bürger, ihr getreuen Untertanen, folgt mir nach!

Unser Volk muß gesunden!
Mehr Vitamine!

Poesie im Ei, verdammt noch mal, was mach ich bloß?

Sehr geehrte Herren,
hiermit möchte ich untertänigst nachfragen, ob ihr die große Güte besitzen tätet hättet könntet würdet, Eurem nichtswürdigen und ohnmächtigen Diener blablablablablablablablablablabla

WIR WOLLEN DIE TOTALE ÄSTHETISCHE REVOLUTION

ALLE müssen mitmachen
KEINER darf beiseite stehen
Es geht um Großes
Hier müssen alle folgsam sein, gehorchen

WIR WERDEN DAS KIND SCHON SCHAUKELN

ALLE SOLLEN GOLDZÄHNE TRAGEN

ALLE MACHT GEHT VON DER ÄSTHETIK AUS

ICH MÖCHTE ALLE MENSCHEN GLÜCKLICH MACHEN

AUF GEHTS

MEHR VITAMINE!

Merke:
Es bleibt noch zu sagen, daß der Prediger ein Weiser war; dazu lehrte er das Volk sein Erkenntnis; er wog ab, untersuchte und formte viele Sprüche. Der Prediger strebte, gefällige Worte zu finden und richtige Worte der Wahrheit niederzuschreiben. Die Worte sind wie die Stacheln der Ochsentreiber und wie befestigte Nägel der Herdenbesitzer, angebracht von einem Hirten. Es bleibt überdies hinaus noch zu sagen: Mein Sohn laß dich warnen! Das Bücherschreiben nimmt kein Ende, und allzuviel Eifer ermüdet den Leib.
(Kohelet, 12,9-12)

When Alice comes back to the farm it's gonna be allright.

EIN STÜCK KÄSEKUCHEN BITTE!

So! und nun wollen wir uns an die Arbeit machen. Jede Menge Material sammeln. Ein Archiv anlegen. Lange Listen machen. Alles aufschreiben. Und was machst du armer Depp dann? Dann schmeiße ich alles zusammen und werfe es den Leuten zum Fraß vor. Wolln doch mal sehn, ob sie es nicht schlucken, wolln doch mal sehn! Dieser Abschnitt ist nun auch schon wieder zu lang. Schluß.

ICH WERDE DIE FÜHRUNG ÜBERNEHMEN!
 
 



 

TEXT DREI
 

Auf dem Tisch stand die Flasche Wein
daneben lagen Brotkrumen
etc.
Ein Stück verschimmeltes Brot
ein großer roter Fleck auf dem Tuch
etc.
Viefach gekreuzigt
Magengeschwüre Metaphern
So - mit diesem Vorrat an Erinnerungen -
kommen wir nicht weiter

Vielleicht wird sich eines Tages doch noch einmal irgendetwas ändern. Und dann dürfen wir wieder von vorne anfangen: rastlos bewegt sich meine Hand über deinen warmen Körper. (Aber wie soll man da diese feinen Unterschiede bemerken.) Langsam kommen wir uns näher; da ist keine Wand mehr zu sehen, wir kommen zusammen und werden uns nie mehr trennen. Aber noch ist es nicht so weit; vielleicht wird es niemals so weit kommen.

Dann:
wieder:
        Brotkrümel
        Rotwein
        Flecken im Tuch
        vergammeltes Brot
        etc. etc.
Wir raffen uns wieder und wieder auf
Wir versuchen es von neuem
Immer und immer wieder

Du presst deinen Mund gegen meinen. Wir. Noch ist es nicht so weit. Vielleicht wird es nie so weit kommen. Deine Versuche sind immer und immer wieder nur schwach und kraftlos. Wir. Wir sind getrennt worden; ha-ben uns getrennt. Wir. Wir müssen wieder zusammenkommen.

Es nützt nichts mehr
Da hilft auch kein Liebesgedicht
Dagegen kommt man nicht an
Meine Kraft ist langsam verbraucht
Und was soll dann
                  geschehen?
Dann bleiben wieder nur
Brotkrümel etc.
Aber noch blühen die Blumen
Doch
meine Gereiztheit wächst von
Tag zu Tag. Gleichzeitig über-
wältigt mich trübsinnige Teil-
nahmslosigkeit. Die Stimmen aus
dem Radio stellen die einzige
Verbindung zur Umwelt her.
Isolation. Frost.

Gewaltsam muß ich mich
mit einer sinnlosen Tätigkeit
abgeben. Aber dann wieder
überkommt mich eine verzweifelte Arbeitswut.
Und noch immer fahren wir
auf den Straßen ohne Ziel
ohne zu wissen
wohin wir gelangen werden
Eine ganz reale Fahrt
in einer wirklichen Landschaft
die aber nur in UNSERER WIRKLICHKEIT vorkommt
Wir wissen nicht wie es weitergehen soll
Wir sehen uns die dümmsten Filme an
und glauben
wir befinden uns in der Realität
Schnulzen und andere sentimentale Lieder
geben uns Auftrieb
Eine höchst zweifelhafte Therapie
Nachts im Park jagen mich
die Fledermäuse
Durch den Wald mag ich nicht gehen
Es ist ein ewiges Kommen und Gehen
Aufeinanderzugehen
und
sichvoneinandertrennen
Eine fast unausgesprochene Trennung
Wir wissen nicht
                 Was tun?
Ob wir uns schon getrennt haben
Wer welchen Weg geht
Verstörung
Veränderungen stehen bevor
Stilleben:
Auf dem Tisch stand die Flasche Wein
daneben lagen Brotkrumen
Ein Stück verschimmeltes Brot
Ein großer roter Fleck auf dem Tisch
Dann:
Magengeschwüre Metaphern
etc. etc. etc.
 
 



 

TEXT VIER
 

Mir zittert der Blick, die Kniescheiben sind in rhythmischer Bewegung: grüngelbbraunrotblauestrahlen jagen durchs Gehirn, Spiralenkreisequadrate... die Umgebung wird mir lästig: viel zu schwer, ich schüttele sie ab, wegdamit! Die Wahrheit liegt (imaugenblickzurzeit) in der roten Musik
                                        die du nicht (warum?)
verstehen willst
                  die in den allzu bewegten Augenblicken auch blau sein kann: die Unterscheidung fällt mir schwer. Die Zeit am Reck: die Zukunft ist sicher.

Die stark hervorspringende Nase
springt mit einem Ruck
aus dem Gesicht
die Augen folgen ihr nach
die Ohren klappen zu
die Haare stehen in Flammen
der Mund taumelt in die Speiseröhre

Mein zerbrochenes Gesicht im halbblinden Spiegel; kaum noch zu sehen: ein wunderliches Bild. Nun hebt sich zu allem Überfluß auch noch die Schädeldecke: daß mir das passieren mußte. Störungen im Sprachzentrum/Sprechzentrum. Der Film ist gerissen.
Ich mache mich auf die Socken und erreiche noch in den ersten Morgenstunden den halbverfallenen Bahnhof. Wer ists, der da im Wartesaal herumlungert? John Wayne natürlich! Ein milchiger Nebel legt sich über das Bild. Ich gehe.
 
 



 

NOTIZEN (I)
 

Im Kino Erfahrungen machen, die man woanders nicht machen kann; nicht als BeSchauer ins Kino gehen, sondern als jemand, der wirklich etwas SEHEN will.

Kino hat schon immer eine große Anziehungskraft ausgeübt auf mich. Weil ich als Junge (fast) mein ganzes Taschengeld für Kinobesuche ausgab, wurde mir immer wieder gesagt, daß ich unbedingt lernen müsse, mein Geld für vernünftigere Dinge auszugeben (investieren!). Das einzige Kino in unserm Ort spielte jeden Film nur zwei bis drei Tage, wenns hoch kam (wem kommt hier was hoch?) (z.B. 'Die Brücke am Kwai') eine Woche. Meistens ging ich Sonntags um 16.45 Uhr ins Kino oder in die Samstagabendspätvorstellung (als ich älter war). Jetzt zeigen sie dort auch nur noch Sex-Hongkong-Simmel-Pauker-Filme; es kann jedoch geschehen, daß sich ein alter Western ins Programm verirrt: wirkliches Kino, das ich bis heute nur noch selten wiedergefunden habe; vielleicht im (alten) Leopold-Kino in München.

Eine Theorie, so sie sich anmaßt, Allgemeingültigkeit und Vollständigkeit zu besitzen, ist vom Übel. Theorie ist nur noch zu denken in Fetzen und Fortsetzungen (so zersplittert und zerfetzt wie das Kino heute).

Je mehr über das Kino geredet wird, desto früher wird es sterben. Das ist der Sinn dieser Aufzeichnungen: Das Kino wie es ist (wie ist es?) zu Grabe zu tragen; was folgt ist jetzt noch nicht abzusehen, bleibt im Dunkel. Noch gehe ich ins Kino und sehe Filme, aber der Zeitpunkt ist abzusehen, an dem auch dies mir unmöglich gemacht worden ist. Kino als Zufluchtsort vor etwas, das man kennt und doch wieder nicht kennt, nicht benennen kann, das im Unbestimmten bleibt. Sich über das, was man heute noch als Kino bezeichnen kann, Klarheit verschaffen, könnte von Nutzen sein für einen Anfang mit Filmen, die einen wirklich treffen.

Die großen Linien sind herausgearbeitet, die Claims sind abgesteckt; aber eine schon lange den Kinderschuhen entwachsene, nicht mehr ganz junge Industrie (darüber - vielleicht - später näheres) sitzt auf dem Gold. Klar, daß sie es so ohne weiteres nicht herausrückt.

Wer, wenn er über Kino redet, redet auch über das, was hinter dem Kino steht? Die Organisation, die Industrie. Wer redet über die Produktion?

Selbstverständlich kostet uns die Organisation der Arbeit weit mehr Mühe als die (künstlerische) Arbeit selber, das heißt, wir kamen dazu, die Organisation für einen wesentlichen Teil der künstlerischen Arbeit zu halten. Es war das nur möglich, weil die Arbeit als ganze eine politische war.  Bertolt Brecht: Tonfilm 'Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt?', in: Kuhle Wampe. Protokoll des Films und Materialien, herausgegeben von Wolfgang Gersch und Werner Hecht, Frankfurt/Main 1969 (= edition suhrkamp 362), Seite 89.

Literaturangabe:   Francois Truffaut: Le Cinéma selon Alfred Hitchcock, Editions Robert Laffont, Paris 1966

Weiter: Nach einer langen Abstinenz habe ich vor ein paar Jahren (um 1972) wieder zum Kino zurückgefunden: angeregt durch ein Festival mit Filmen von und mit Jerry Lewis. (Eine Konversion!) Heute gehe ich mäßig bis regelmäßig bis häufig ins Kino. Ich kann es einfach nicht lassen.

(Fortsetzung folgt)

Es gibt keine Filmgeschichte, weil es kein Bewußtsein von ihr gibt. (Das hat bestimmt schon mal einer gesagt. Helmut Färber?) Es gibt aus vielen Gründen keine Filmgeschichte. Die Konsequenz, mit der viele, die sich mit dem Film beschäftigen, immer wieder an demselben vorbeirennen, muß ich bewundern.

(Fortsetzung folgt)

LESEN: das ist nicht: einen Film, ein Buch, ein Bild mit der WIRKLICHKEIT vergleichen, sondern: vergleichen mit den eigenen Erfahrungen, die denen (z.B.) einer Einstellung eines Films gleichen/ähneln; Einstellung mit Einstellung vergleichen.

Einstellungen, die man aneinander reiht oder aneinander klebt, sind Gedanken. Eine Idee steckt im Bildausschnitt, in der Einstellung, eine moralische Idee. Da muß man wissen, wie man sich zu der Sache, die man filmt, überhaupt stellt, welche Einstellung man dazu hat.   Jean-Marie Straub in einem Gespräch, in: Filmkritik Nr. 169, München, Januar 1971, Seite 29.

Es stimmt natürlich wieder einmal alles nicht, was ich (ICH) da schreibe/geschrieben habe; schon indem ich dies SCHREIBE stimmt es nicht. Es stimmt nicht. Ich muß mir hier widersprechen und (zumindest diese Notizen) verleugnen. Ich distanziere mich. Oder auch nicht.

(Fortsetzung folgt)
 
 



 

NOTIZEN (II)
 

Überhaupt ist unser Wissen von den Dingen, über die wir jeden Tag reden, noch viel zu ungenau und oberflächlich, als daß wir wirklich etwas ausrichten könnten.

Wer kann, handelt, wer nicht kann, gibt Unterricht.
(G.B. Shaw)

Wissenschaft ist gut, aber Erfahrung ist besser.
(Der Schiffsarzt in Lewis Milestones 'Meuterei auf der Bounty')

Dieses schwarzhaarige Mädchen, das nicht mit mir ins Kino gehen wollte, das sich lieber vors Fernsehgerät setzte, das allein lebte und sehr viel redete, wenn ich mit ihr zusammen war... / ...aber nun endlich mal aufhören vom Einfluß des TV auf einsam lebende Menschen zu reden...

Überhaupt ist unser Wissen von den Dingen, über die wir jeden Tag reden, noch viel zu ungenau und oberflächlich, als daß wir wirklich etwas ausrichten könnten.

Ich wußte nicht, was ich sagen sollte, als mich Freunde fragten, wie ich 'Moses und Aron' von Straub/Huillet fände. Das hatte ich eigentlich nicht erwartet, von ihnen. Ich konnte keine Antwort geben auf eine solch obszöne Frage: das beweist, daß ich noch ein Schamgefühl habe.

Andererseits scheint es mir auch verfehlt, dem Film ein Denkmal zu setzen, so wie es die 'Filmkritik' mit ihrer Nr. 221/222 getan hat.

Was macht man mit einem zur Ehre der Ältäre erhobenen Film?
 
 



 

NOTIZEN (III)
 

Wenn man keine eigenen Worte findet, muß man sich nach anderen umschauen (bereits 'gebrauchten'); wenn man die nicht findet, muß man schweigen.

Manche Leute drücken sich aus, wie man einen Mitesser ausdrückt.

Aforismen sind sinnlos.

Manche haben eine Wut im Bauch und versuchen, sie los zu werden; sie suchen nach Worten; Wortradikalismus. Radikal sein schon, aber nicht nur mit Worten.

Ich gehe zur Zeit kaum ins Kino. Wer weiß schon wos lang geht: die Übersicht geht verloren!

Morgen gehe ich ins Kino und übermorgen auch... Und manchmal verirrt sich ein schöner Film ins Fernsehen. Ich komm nicht los von dem Apparat. Mal sehn wies weitergeht... (11.7.1975)

Fortsetzung folgt...

William hat mich heut gefragt, warum ich so ungern ins Kino gehe (z.Zt.). - Der Narr, er hat nicht kapiert, daß das Kino eine Frau ist, die auch mal ihre Tage hat. (12.7.1975)

Ein ewiger Kampf um das Gleiche: die einen hält man für blöde und der Rest ists wirklich. Das, worüber geredet wird, stellt sich meist als uninteressant heraus. So redet man und sagt nichts. (Das kann sich aber auch als nützlich erweisen.) (15.7.1975)

Es geht wirklich darum, daß wir die Verständigung nicht verlieren, daß der Kontakt nicht abreißt, daß wir miteinander reden können.

Verständigungsschwierigkeiten scheint heute jeder zu haben: selbst Filmproduzenten: ihre Ware wird nicht mehr so recht verstanden und das Publikum blickt klar: also doch eine Verständigung (zumindest eine Einsicht) ein Fortschritt also... (16.7.1975)

Wo man leben möchte, wo man hingehen will, wenn man könnte... Es sind alte Träume; Träume, die immer wieder geträumt werden: etwas anderes: Amerika. (19.7.1975)
 
 



 

NOTIZEN (IV)
 

Bei vielen Sätzen weiß ich nicht, ob ich sie zum ersten Mal (als Erster) ausspreche, oder ob sie schon einmal von jemand anderem ausgesprochen wurden; wie z. B. der Satz Es gibt keine Filmgeschichte, weil es kein Bewußtsein von ihr gibt.

Ich bin auch zu faul, um nachzusehen, ob dieser Satz von jemand anderem ist; aus einer Lektüre vielleicht: aus einem Buch, einem Artikel, den ich irgendwann einmal gelesen habe. Dieser Satz ist zu meinem Satz geworden; ich habe ihn in Besitz genommen.

Vielleicht ist das unser größtes Problem: daß wir nicht wissen, ob das, was wir reden und schreiben, unsere Wörter und Sätze sind oder ob ein anderer sie vor uns gedacht und ausgesprochen hat.

Aber vielleicht (und sogar wahrscheinlich) ist dies gar kein Problem.

Das, was ich gelesen, gehört und gesehen habe, habe ich in mich aufgenommen; ich habe es mir angeeignet. Das ist kein Problem, das ist eine Tatsache: Bücher und Filme werden ein Teil meines Lebens, sie gehören mir und ich 'verwende' sie weiter.

Ich bin eine Fabrik.

Von einem zum anderen gehen, die Zusammenhänge vermeiden. - Zusammenhänge entstehen (können) erst (entstehen) im Kopf des Lesers.

Schreiben wie Ferdinand in 'Pierrot Le Fou' hat (glaube ich) Herbert Linder geschrieben.

Ist es vielleicht von Interesse zu wissen wo und wie und wann dieser Text entstanden ist? - Während im Fernsehen 'Falsche Bewegung' von Wenders/Handke läuft und ich eine Flasche 'Chateauneuf du Pape' trinke.

Der Film ist nun abgelaufen und ich schalte um aufs Zweite Programm zum 'Sportstudio': jetzt brauche ich wenigstens nichts Tiefsinniges mehr zu hören und zu sehen bis mit Hören und Sehen vergeht.

Wenn das Privatfernsehen kommt, werde ich mich einmischen und jeden Samstag die Spiele von München 1860 in voller Länge übertragen. - Man muß da schon radikal werden.

Anschließend war im ZDF 'Seven Thiefes' von Henry Hathaway zu sehen. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, so etwas aufzuschreiben, während ich den Film sah: du gewöhnst es dir einfach ab, bei Filmen wie denen von Wenders/Handke noch zu sehen, weil dich der Ärger über die aufgegebenen Hoffnungen die Augen schließen läßt. Volker Vogeler in 'Falsche Bewegung' interessiert mich nicht. Edward G. Robinson fasziniert mich!

Es gibt eine Faszination, die von den alten Hollywood-Filmen ausgeht und von der auch Wim Wenders erfaßt wurde; er hat es nur versäumt, diese Faszination zu verarbeiten...

Du mußt das, was du hörst und siehst entweder abstoßen oder dir zu eigen machen.

So gesehen bestehe ich unter anderem auch aus Büchern und Filmen.

Apropos Künstlichkeit: man beobachte einmal bei einer Rückprojektion die Hände am Steuerrad.
 
 



 

NOTIZEN (V)
 

Ebereschen -
ganz zu schweigen von
der alltäglichen Kleinarbeit.
Keine Frage:
Abgründe tun sich nur noch in der Lyrik auf;
geschweige denn...

Geschweige denn: wir machen endlich einmal den Mund auf und fangen an zu reden; aber nicht nur unter uns, wenn wir allein mit uns sind, wenn wir uns gegenseitig unsere 'Sorgen beichten' oder auch schimpfen. Werden wir penetrant, gehen wir endlich in die Öffentlichkeit und reden davon, wie uns die 'alltägliche Gewalt' fertig macht auf Schritt und Tritt im gleichen Schritt und Tritt.

Von dieser alltäglichen Gewalt reden, wie sie uns z.B. in unseren Berufen knechtet; aber auch davon reden, wer diese Gewalt ausübt, davon sogar ganz besonders. Indizien sammeln, ordnen und anderen zugänglich machen. Mit dieser Arbeit beginnen.

Und dann sitzt du mittendrin: ausgelaugt bis aufs Blut, wirr im Kopf, weil du nicht weißt, wie du dich verhalten sollst, dann gibts nur eins: saufen bis es nicht mehr geht. Denn es ist ja nicht nur die Betäubung, die dir so gut tut, es ist das Angetörntsein, das dich zumindest kurzfristig über die ganze Scheiße hinweghebt ... allerdings wirklich nur kurze Zeit ... dann kommt alles wieder mit viel größerer Wucht ... und du fängst wieder mal ganz von vorne an ...

Ja, sicher
du verstehst schon
was ich meine
              wenn ich rede
von unseren Schwierigkeiten
den alltäglichen
                 und besonders hier
in der Provinz
(da kann man schon
ruhig zugeben,
               daß man hinterm
Mond lebt!)
            Jedoch
auch hier muß man leben und
den Typ verstehen, der dir
jetzt gegenübersitzt in der Kneipe,
in die du gehen mußt (abends),
wenn du Leute sehen willst
(Menschen,
mit denen man reden kann.)
Er sieht ja nun wirklich
so aus wie einer,
                  der seine Frau
schlägt
        und Udo Jürgens hört.
Siehst du:
           und schon bist du
auf einer Ebene mit ihm,
in ähnlichen Klischees gefangen,
in den gleichen Zwängen
                        (die im Kopf
zu suchen sind).

Plötzlich so in Druck geraten, daß selbst die alltäglichsten Geschichten einen Horroreffekt bekommen: z.B. dein Auto steht in Marseille im Halteverbot, blockiert anderen Autos die Ausfahrt, ein Polizist in der Nähe: que faire? Natürlich reinsetzen und wegfahren und so tun als sei nichts geschehen - man spricht Gedanken aus, es kommt zum Wortwechsel, man wird angeschrieen, dreht sich auf dem Absatz um und geht weg ... traurig und lächerlich zugleich ... die Aufgabe sollte es sein, den Wahnsinn in den alltäglichen/kleinen Handlungen aufzuspüren, sichtbar zu machen, auszusprechen ...
... ich hab doch wirklich
nichts gesagt/
               nur abgewartet.
Fehler macht jeder, und
wenn dir dies alles
                    auf die Nerven
geht, so
geh doch einfach weg.
Laß alles hinter dir und geh.
Irgendwo
         findet sich schon etwas
Neues.
       Aber schrei mich nicht an.

Aufgespalten in Fraktionen
kämpfen die Genossen (die jungen)
gegen die alten (Genossen).
Kaum einer kennt die Argumente
der anderen
            - nur Herzbeschwerden
haben alle
von dieser Luft in dieser
verdammten Stadt.

Kein Gefühl mehr haben für Zeit und Raum; die Flügel ausbreiten und wegfliegen: sich absetzen. Der alltäglichen Gewalt ausweichen. Flüchten oder standhalten: dann schon lieber flüchten. Oder auch nicht. In Selbstvergessenheit erstarren. Oder: arbeiten; der alltäglichen Gewalt entgegentreten, sich zum Kampf rüsten.

Eine Entscheidung treffen. Fortsetzung folgt ...

Die Verräter sind mitten unter uns; und wir müssen höllisch aufpassen, daß uns nichts zustößt. Ihre Rädelsführer haben uns Fallen gestellt; an jeder Straßenecke lauert einer dieser hinterhältigen Typen, um uns mit seinem Totschläger eins über den Schädel zu ziehen.

Die Politiker stehen schon lange nicht mehr auf unserer Seite, und ich habe aufgehört, Politik zu machen (was die unter 'Politik' verstehen!). - Ein bewußtes Leben zu führen ist nur noch möglich als Partisan, als Einzelkämpfer.

Wir müssen unseren Kampf besser führen als unsere Gegner, d.h. wir müssen 'bessere Arbeit leisten'. - Wir müssen 'professionell' werden.

Fortsetzung folgt ...

Es taucht ab und zu mal immer wieder die Frage auf, wo das Geschriebene unterzubringen sei: ob man die eigenen Vorstellungen so radikal durchsetzt, daß die ganze Präsentation (z.B. eines Buches) unverwechselbar von einem selbst bestimmt wird, oder: ob man die vorhandenen Produktionsmittel (z.B. eine Buchreihe) ausnützt, um die eigenen Gedanken (sic!) möglichst weit zu verbreiten.

Sinnlos ist es auf jeden Fall, den Kampf aufzugeben, zurückzustecken, um den Zuhältern das Feld zu überlassen. Sinnlos erscheint es mir mittlerweile aber auch, nur noch Kampfaufrufe zu schreiben und keine Arbeit zu leisten.

Also: umstellen; die Arbeit aufnehmen ...

Die Wohnung, ausgestattet mit den neuesten Errungenschaften der (einer!) Wohnkultur: ich sehe nicht ein, warum ich mich hier wohlfühlen soll. Und dann machst du die Augen auf, und sie haben dich überfahren mit ihren Wörtern und Sätzen und ihrer Kultur. Schöner Wohnen! Ein Befehl, über den man nicht reden kann, es sein denn ... / ... es sei denn, man steht über den Dingen, man hat die Übersicht noch nicht verloren ...

... im ungeheizten Zimmer ...

Überhaupt und was die Kultur angeht: da konnte es doch wieder einmal einer nicht lassen: der Fall: Uwe Nettelbeck: Mainz wie es singt und lacht ... im Verlag Petra Nettelbeck ... 1976 ... Gesammelte Werke (?) aus den Jahren 1969-1976, zum Teil veröffentlicht in der 'Filmkritik' ... - über dieses Buch hier nichts, auch später nicht.

Jedenfalls habe ich es bis heute noch nicht erlebt, daß Menschen (what a word!) miteinander arbeiten, ohne sich gegenseitig in den Rücken zu fallen. Auch nicht bei Leuten, von denen man annimmt, daß sie ein gemeinsames Interessen haben. Dies als Allgemeinplatzresultat einiger längerer Überlegungen, Experimente und Erfahrungen.

Fortsetzung folgt ...
 
 



 

NOTIZEN (VI)
 

Das Gesicht eines Menschen ansehen und sofort wissen, wie unsere Zukunft mit ihm aussehen wird: diese seltene Fähigkeit auch an anderen beobachten.

Niemand mehr hereinlassen in die eigene Welt bis nicht wirklich alles veröffentlicht/öffentlich geworden ist. D.h. aber auch: möglichst weitgehende Isolation.

Wenn ich mich dir gegenüber manchmal abweisend verhalte, so nur aus Angst.

Diese totale Unsicherheit, wenn ich dir begegne, weil ich einfach nicht weiß, ob mein Leben wirklich von mir bestimmt wird.

Die Menschen wirbelten heraum wie in einem Zeichentrickfilm: sie hatten keinen Boden mehr unter den Füßen.

Auch die längst Nacht hat ein Ende: und am Morgen liegst du neben mir.

Das Erschrecken darüber, wie jemand in wahnsinniger Hast seine Zigarette anzündet, um seinen Lottoschein ausfüllen zu können.

Während einer heftigen Diskussion läßt du einen Furz los, und der Streit ist vergessen.

Sie war so schön, daß sie nicht mehr gehen konnte.

Viele Menschen scheinen Schwierigkeiten mit ihren Zähnen zu haben: Feststellung, getroffen in einem Speiselokal.

Die Banalitäten nehmen kein Ende...

Karl Kraus (Uwe Nettelbeck) ist auch nicht mehr das, was er einmal war.

Nach der Lektüre der 'Filmkritik' Nr. 238 (über Taxi Driver): Das Schreiben über Film, so wie es in der 'Filmkritik' geschieht, scheint mir z.Zt. das 'freieste' Schreiben zu sein: frei von den Zwängen des bei uns praktizierten Journalismus und offen für die Sache und für den Leser. Der Impuls des Schreibens scheint nur auszugehen vom Objekt des Schreibens, nicht von Schablonen und sog. 'Schreibzwang', d.h. Schreiben um Geld zu verdienen. Seit 1973 beobachte ich z.T. aus nächster Nähe wie diese Zeitschrift produziert wird, und es wundert mich immer wieder, daß sie überhaupt noch erscheint: wie schwierig es ist, den Widerspruch zwischen Produktionsweise und gesellschaftlicher Realität aufzufangen. Eine kollektiv produzierte Zeitschrift im Zeitalter des Hochkapitalismus. Ein 'Allgemeinplatz-Satz', der die Scheiße 'ausdrückt', in der wir stecken...

Wie verloren das Zitronenstück in meinem Weizenbierglas schwimmt.

Wem gehört das Bier, denke ich mir, als ich auf einer Reklame die Be-zeichnung 'Bürgerliches Brauhaus' lese.

Im Zeitalter des Schlagers ein Liebeslied schreiben.

Gasthof 'Schwarzer Ochsen'!

Warum stört mich an seinem Gang die aufreizende Art Auf-und-nieder-zu-wippen?

Schau nicht so blöd!

»Verdammt« sagte ich, »als ich jung war, konnte man ein Mädchen noch in Ruhe ausziehen. Heute liegt es schon im Bett, wenn man noch an seinem Kragenknopf rumfummelt.

Den Arsch auf der Stuhlplatte weit nach hinten geschoben, den Oberkörper nach vorn gebeugt, den Kopf in den Nacken gelegt: Mit Behagen schlürft er sein Bier.

Die meisten Selbstmörder haben wahrscheinlich ihr Leben nach den Prinzipien der 'freien Marktwirtschaft' organisiert.

Wenn ichs mir so überlege, so verkommen diese Notizen allmählich zu sinnlosen Aforismen, die niemand ernst nimmt, weil sie niemanden betreffen.

Wie erniedrigt man sich fühlt, wenn man ('nur') geliebt wird und nicht lieben darf ('Ich will, daß du glücklich bist.').

Es gibt da sehr genau beobachtende Schriftsteller: aufmerksam beobachten sie, was sich so in der Literaturlandschaft tut: nach Sensibilität kommt Realismus; die ganz Schlauen hängen immer mittendrin: sie sind unangreifbar geworden, lassen sich keiner 'Richtung' zuordnen. So können sie natürlich über jeden herziehen, gerade so wie es ihnen passt. Immer so weit vom Geschehen, daß man sich nicht schmutzig macht, und dann die Analysen in der FAZ veröffentlichen. Das Ärgernis: sie behindern mich (und andere) daran, die Wirklichkeit mit Wörtern abzustoßen.

Spades fleischige Finger drehten sorgfältig und ohne Hast eine Zigarette, ließen eine genau abgemessene Menge dunkler Tabakflocken in ein gewölbtes Blatt rieseln und verteilten sie so, daß sie gleich hoch an beiden Enden und leicht vertieft in der Mitte lagen; die Daumen drückten den inneren Rand des Blättchens nach unten und rollten ihn unter den äußeren Rand, den die Zeigefinger herüberdrückten, worauf Daumen und Finger zu den Enden des Papierzylinders glitten, um ihn in Form zu halten, während die Zunge die gummierte Kante anleckte, der linke Daumen und der linke Zeigefinger den feuchten Saum feststrichen, dann das andere Ende zwirbelten und das gegenüberliegende zwischen Sam Spades Lippen führten. (Dashiell Hammet: Der Malteser Falke)

Über die Austauschbarkeit von Zeitungsinformationen: Wenn ich (zumeist am Wochenende) mehrere Zeitungen parallel lese: hinterher immer ein Gefühl von überflüssiger Arbeit: eine hätte es auch getan: vielleicht wäre aber auch diese überflüssig.

In deutschen Gaststätten kann man keine Beobachtungen anstellen; es würde nur eine Satire herauskommen.

Einen schweren Kopf haben. Vom Trinken!

Vom Nachdenken müde werden!

Unfähig, etwas von mir zu schreiben (was ja mein eigentliches Vorhaben ist), wenn etwas geschieht, das mich sehr betroffen macht. Die Krankheit der Mutter zur Zeit.

...den Mund halten...schweigen...erstarren vor Schreck...

abbrechen...der Tod...

Unmöglichkeit, so wie bisher, weiterzumachen...
 
 



 

LETZTE NOTIZEN
 

Theoretisch ließe sich ein einmal gefaßtes Konzept bis zum bitteren Ende weiterführen; theoretisch...aber...life goes on...und man überwindet die einmal gefaßten Konzepte, bis alles durcheinandergewirbelt ist ... du beginnst zu einem bestimmten Zeitpunkt zu schreiben, dein Leben aufzuschreiben; dein Plan ändert sich ... und nach einiger Zeit blickst du zurück und siehst das Chaos hinter dir ... und wieder beginnst du mit einem neuen Plan...

Kein Tiefgang in den Gesprächen, denke ich mir - ein ganz klein wenig verzweifelt schaue ich auf die Uhr und warte darauf, daß dies (die Gespräche) nun endlich vorübergeht wie jener Kelch... Wie gelähmt dasitzen, aber nicht vor Angst und Schrecken; gelähmt von Unzufriedenheit und Ziellosigkeit. - Das Aufstehen, früh am Morgen, das Glas Orangensaft, und doch schon Leergang und ein Wissen darum, daß auch heute nichts geschieht. - Ein leeres Blatt auf dem Tisch, gelb, soll angefüllt werden mit Buchstaben: Therapie, um zu leben; der Ratschlag, du sollst zum Psychiater gehen, war ernst gemeint. - Auseinanderklaffen von Theorie und Praxis.

Bübchen will die Revolution, dieser Spießbürger!

Alles Scheiße!

Kein Programm entwickeln, aber rausfinden, wie man SELBST leben kann.

Und wenn alles kaputt geht, doch auf den eigenen Vorrechten immer und ewig beharren bis zum Wahnsinn. Und sich nicht ablenken lassen und endlich einmal von der Stelle kommen.

Wir gehen täglich in Häuser, bewohnen sie, kümmern uns aber ein Dreck um ihr Aussehen, ihren Zustand. Es interessiert mich schon sehr, wie die Leute wohnen, was sie tun, lesen, denken. In ihren Wohnungen kann man sie kennenlernen.

Wahnsinn 1
Hier (im Kaufhaus) ist der
Wahnsinn perfekt. Ich warte
auf mein Essen, und der Kopf
ist voller Geräusche. Ich kann
die Stimmen nicht mehr
unterscheiden und mein Hirn
ist schwer von Worten, die
ich nicht mehr verstehe. - Ruhe;
 Sehnsucht nach Ruhe:
 Eintauchen in den Wahnsinn.

Aus: Gespräch im Warenhaus

»Keinen Lohn bekommen für meine Arbeit. Früh aufgewacht, gefrühstückt, zur Arbeit gegangen und keinen Lohn bekommen für meine Arbeit; früh aufgewacht, gefrühstückt, zur...«

Apropos Peter Handke:   Für die Demagogie und den Klatsch, gegen die Literatur! (P.Handke: Sätze im Schwarzen oder Ausleiern der Tagträume, in: Die Zeit, Hamburg, vom 24.6.1977)

Zitate:
Wer sich anmaßt, mit den Augen anderer sehen zu können, der ist nicht weit davon entfernt sich anzumaßen die Interessen anderer vertreten zu können, und dann ist er dort, wo seine Interessen leicht von anderen vertreten werden können, er ist am Ende. (Felix Hofmann, in: Kunst und Medien. Materialien zur 'documenta 6', Kassel 1977, Seite 166)

Bresson: die Laien-Schauspieler agieren mit einer ständigen schönen Humorlosigkeit - als ob es immer ums Ganze geht (Laien als Schauspieler: sie lächeln nie bei oder nach ihren Sätzen wie oft professionelle Schauspieler)  (Peter Handke: Das Gewicht der Welt, Salzburg 1977, Seite 321)

Ja, bei Bresson geht es immer ums Ganze!

Professionelles Kinogehen - von Leuten, die sich einem Film aussetzen - ist erfüllt von einem tiefen Bedürfnis nach Kommunikation. Ein Bedürfnis, das aus der Einsamkeit des Kinogehers hervorgeht.
(...)
Wer dagegen in Filmen sich verlieren kann, wird wohl eher die Wirklichkeit des Films mit der außerfilmischen versöhnen, indem er seine vielen Kinoerfahrungen zum Bildungserlebnis sublimiert.  (Peter Nau über Dokumentarfilm in der 'Süddeutschen Zeitung', München, vom 10./11.12.1977)

Ich bin abends auf dem Plärrer und fahre mit der Schiffschaukel. Das gewährt mir volle Befriedigung. Es ist einer der schönsten Sporte, damit wendet man einen Abend nutzbringend an, man geht anders nach Hause als sonst, nach den vielen verlorenen, leeren Abenden, wo man nichts tat und nichts gewann.  (Bertolt Brecht: Tagebuch vom 21.8.1920)
 
 



 

TAGEBUCHBLÄTTER
 

1
Der 'Spiegel' hat sich eines wichtigen Themas angenommen: die Gefahren des Alkoholismus. Soll ich das lesen, um mir später ausrechnen zu können, wieviele meiner unzähligen Gehirnzellen schon abgestorben sind? Wie weit bin ich auf meinem Weg zur Impotenz schon fortgeschritten? - Ich überlege nicht lange, entschließe mich dann, das Ergebnis später (an mir selbst) festzustellen/zu erfahren. Also greife ich zur Flasche und begebe mich auf und davon in die Wildnis; die zahllosen Schweißtropfen auf meiner Stirn; ein Stechen in der Brust: Whiskey-Akupunktur...

2
Grenoble, 2 rue de Belgrade:  sonimage  : information - calcul - ecriture. - Vor einer 'Fabrik' stehen, ein Foto machen, sich vorkommen wie der Typ vom Verfassungsschutz. Immerhin: das Bild einer neuzeitlichen Manufaktur, die (vielleicht) einen Schritt rückwärts geht, um andere zu überholen. Endlich hat einer die Konsequenzen gezogen. (29.8.1977)

3
Back home again: frisch, voll neuer Eindrücke, die aber keineswegs zu Papier gebracht werden. Ausgeruht, gelüstet (sic) es mich mehr nach Taten! Aber: als ob man da einen Unterschied machen dürfte: Schreiben als Handeln verstehen! Jawoll!

4
Gewiß lassen sich auch bei mir allenthalben Degenerationserscheinungen feststellen; aber mein Recht, gegen diese Zustände zu opponieren, lasse ich mir nicht nehmen. Und so lange es mir noch in einem französischen Café eiskalt den Rücken herunterläuft, wenn sich ein Deutscher laut plärrend beim Ober beschwert, so lange habe ich recht. Ja, die Herren der Welt im Mercedes Benz: ein Bild des Größenwahns. Ich gebe zu, daß Touristen allgemein keine erfreuliche Erscheinung sind, aber wenn die Germanen an die Front ziehen, dann wackeln die Wände und zittern die morschen Knochen. (5.9.1977)

5
Meine wirklich ernsthaften Überlegungen, dieses Land zu verlassen, kommen mir selbst allmählich lächerlich vor. Es ist die mangelnde Konsequenz, die mich stört. Naja, so schlimm wird es wohl nicht sein. Dieses Land wird nicht noch einmal dem Faschismus verfallen. Der fehlende Mut wegzugehen, macht mich blind, die bedrohlichen Zeichen zu sehen. Manchmal habe ich wirklich Angst... (7.9.1977)

6
Unfähigkeit, an einer Diskussion teilzunehmen, die zu laut wird. Einfach kraftlos. Wozu auch. Ich kann mir etwas aneignen, aber ich bin unfähig, andere reden zu lassen... Warum denken sie nicht so wie ich?

7
Die Arbeit an einem Plan zu einem ganz großen (d.h. umfangreichen) Buch nimmt mich zur Zeit (ja, ich mache keine Abkürzungen, s.o.) so in Anspruch, daß mir das Vorwärts-Denken schwerfällt. - Ein Plan muß sein; ein Ziel haben, ja, und dann arbeiten. Arbeiten...? (12.9.1977)

8
Schwierigkeiten mit gesellschaftlichen Ritualen: bringe ich der 'Dame des Hauses' nun Blumen mit oder nicht? - Wenn ja, ist es dann aufdringlich? - Wenn nicht, bin ich dann unaufmerksam? Mir sind diese Art Rituale natürlich zuwider, aber wenn ich sie beherrschen würde, könnte ich mich besser abschirmen.

9
Die wirklich lästige Verpflichtung, sich fortwährend entscheiden zu müssen! Wahrscheinlich läuft aus diesem Grund mein Fernsehgerät dauernd (sehr oft).

10
Nicht mehr unsicher werden

11
Es fällt mir schwer, den Fernseher abzuschalten: trotzdem fühle ich mich unabhängig von diesem Apparat. Ja, ich bin es! Das ist keine Koketterie, sondern eine Tatsache.

12
Aus einem Fernsehfilm: Jemand drückt auf die Klingel, er nimmt den Finger weg und es klingelt weiter.

13 (entfällt)

14
Ja! ich fühle mich besser, wenn ich etwas geschrieben habe, d.h. mir näher gekommen bin. Je mehr desto besser.

15
Alles (die Sprache) auf ein einziges Wort reduzieren können. (Nach Bressons 'Quatre nuits d'un reveur')

16
Die Frechheit des Mannes, der sich umdreht, um einer Frau in das Gesicht zu sehen. Wie kann ich sie jetzt anschauen?

17
Die 'linken Experten' machen sich über die sog. 'Neue Sensibilität' her. (Kursbuch 29) Und sie werfen Wim Wenders und Werner Herzog und alles mögliche in einen Topf: unvorstellbar der Gedanke, bei ihnen eingeladen, etwas essen zu können, das sie selbst zubereitet hätten. (8.10.1977)

18 (entfällt)

19
Wahnsinn: Während der Pantomime vom Tod in Jean Renoirs 'La Regle du Jeu' erscheint auf dem Bildschirm als Untertitel: »Hanns Martin Schleyer ist tot« (19.10.1977) Und dann wird später der Film unterbrochen durch eine Nachrichtensendung: in eine beginnende Liebeserklärung hinein. Nach den Nachrichten: Musik. Der Film bleibt im Dunkeln.

20
Mir blieb fast das Herz stehen: plötzlich sah ich in Antonionis 'Beruf: Reporter' dieselbe Landschaft (ein kleiner Ort an der spanischen Mittelmeerküste) wieder, die ich vor vier Jahren gefilmt hatte, unterwegs nach Marokko. Erschrecken darüber, daß das Wiedererkennen/die Erinnerung so überraschend sich einzustellen vermag. (22.10.1977)

21 (entfällt)

22
Wenn die Blase wieder einmal drückt, dann wirds schwierig, ruhig zu sitzen, nicht aufzustehen und den Saal zu verlassen. Mir wird schlecht, ich kann nicht mehr. Ich friere. Jetzt ist es passiert.

23
Die Blase drückt immer noch.
 

24
Immer wieder: den täglichen Wahnsinn perfektionieren. Damit ich nicht den Durchblick/Überblick verliere.

25 (entfällt ebenfalls)

26
FOTOGRAFIE: die Zahl der Sprechakte verringert sich von Tag zu Tag; die Zahl der Bilder vergrößert sich von Tag zu Tag.

27
Es gibt Phasen, die dazu geeignet sind, zu schreiben, und es gibt Phasen, wo kein Wort auf das andere folgen kann. Das sind aber keine Zeiten der Sprachlosigkeit, sondern der äußersten Konzentration oder der angestrengtesten Faulheit, was ja bekanntlich dasselbe ist. (16.2.1978)

28
Den Stumpfsinn an die Macht!

29
Mein Buch macht Fortschritte; allerdings gedeiht die Theorie (der Einlei-tungsessay) nicht so recht.

30
EINE PAUSE einlegen und alte Arbeiten wieder aufnehmen und (wenn mög-lich) zu einem Ende führen. (26.4.1978)

31
Nummer neunundzwanzig streichen! (3.7.1980)
 
 



 

AUGSBURGER NOTIZEN
 

ICH kann auch nicht sagen, was es ist... über zehn Jahre im Bett dieser Wasserleiche: aufgedunsen, und doch herausgeputzt, manchmal sogar schön... irgendwie... noch nie habe ich so lange an einem Ort gelebt... warum jetzt?... das Alter???... vielleicht... es erschreckt mich, weil ich keine Antwort weiß... versuche ich, diese Stadt zu verstehen???... es bleibt alles irgendwie im Ungefähren; Fakten lassen sich nicht finden... Gefühle... (8.8.1987)

JA - und diese 2000 Jahre dürften doch wohl reichen! - Reichen dürften auch die 10 Jahre, die ich hier gelebt habe / lebe! - Aber: wohin? - Eine ruhige Stadt, an der der Lauf der Welt(-Geschichte) vorüberzieht. Windhauch, Windhauch... Und doch ist es schön, abends in der Altstadt zu sitzen, die Flanierenden (ja - auch das gibts in Augsburg) zu beobachten, böse Kommentare abzugeben, ein Viertel Rotwein zu trinken, eine Selbstgedrehte zu rauchen... Es geht mir gut & es geht mir schlecht. - Und wenn der Alkoholspiegel steigt - ja dann wird Augsburg sogar liebenswert: die Gesichter der Menschen sind entspannt, ihre Blicke freundlich, ihre Gesten unverkrampft... Ich lehne mich zurück, schaue mich um, der Himmel ist klar (was denn sonst?!) und meine Fluchtpläne sind vergessen... (12.8.1987)

BAHNHOFSPLATZ:   50% Italien / 50% Texas
in der Mitte:
zwei Nonnen wandeln um den Penisbrunnen
(nachts um 12)
Fluchtpunkt / -möglichkeit
das POSITIVE an dieser Stadt: daß man ihr
so leicht
entkommen kann
(gutes Essen gegenüber im ITALIA)
Warum fühl ich mich wohl
wenn ich ins Reisezentrum gehe
und eine Fahrkarte löse
in die Welt hinaus
 

IMMER NOCH Kopfschmerzen und am Nebentisch im Biergarten ein endlos ödes Gerede zweier Jungburschen mit ihren Tussies über Bundeswehr, Geländewagen und ähnliches Zeuxs... Sie haben die Realität dieses Staates durchschaut, diese Arschlöcher, und sie reagieren entsprechend... Sie werden schon zurechtkommen, sauber & adrett wie sie sind. Zur Hölle mit diesen hirnamputierten Schimpansen! (15.8.1987)
 
 



 

TAGEBUCH
 

ES BEDEUTET KEINE SCHWÄCHE, eine einmal aufgegebene Traditionen neu zu beleben. Es bedeutet keine Schwäche, sich Klarheit zu verschaffen über die merkwürdigen Dinge, die geschehen in meinem Kopf (und anderen?). Es bedeutet keine Schwäche, dies auch noch zu Papier zu bringen. Es ist auch keine Eitelkeit. Es ist auch kein Suchen nach Anerkennung: das nun wirklich nicht. Es ist ein Versuch, herauszukommen aus der lähmenden Faulheit der Tage, des Alltags, aller Tage... (14.4.1990)

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in AUGSBURG zu leben
der Stadt der Fugger & Welser
(Zwillingsärsche an einer Leiste)

                     satte Erde
                     aus der es wuchert
                     üppige Pflanzen
                     ohne Frucht

leergesaugt
Hüllen - ohne Menschen
                        ...und Leben
                        sowieso NICHT
                                      (17.4.90)
 

DER WELTGEIST DES PROVINZIALISMUS weht dir hier voll in die Schnauze und DU hast keine Möglichkeit mehr, tief Luft zu holen, die Lungen vollzupumpen, abzuheben und dich auf und davon zu machen. Ich kann es (noch) nicht sagen, was diesen Provinzialismus essentiell ausmacht, woraus sein Stoff besteht. Ich werde mich umschauen und dieses Problem lösen, dann werde ich mich wieder melden. (17.5.90)
 

FRAGMENT:
°
°
der Schlag der Baßgitarre in meinen Bauch:
- nur langsam
              verschwindet
                           der Schmerz
°
°
°
O wie ist das schön
so aufatmen zu können
nach einer Niederlage
die niemand herbeigeführt hat
als
    ICH als SELBST (moi!)
°
                                                 (April 1990)

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abhängigkeiten sind immer schlecht
abhängigkeiten von einer maschine sind schlimm
abhängigkeiten von einer doofen maschine sind das schlimmste

ich will nicht mehr abhängig sein
                                                    (24.4.90)
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Seis drum: ich mache weiter. Ich fülle die Seiten und (naja) fülle auch anderes und und und ich weiß nicht mehr weiter und irgendwann werde ich ganz verstummen und ich weiß: es ist das Tempo und das Tempo ist rasant und ich weiß nicht ob ich es schaffe, mitzuhalten mit diesem Tempo und und und es geht weiter und irgendwann (wie gesagt) höre ich auf...
                                                    (27.4.90)
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perversitäten lauern an jeder ecke und der biedermann kann sie nicht sehen... er lauert, um dem räudigen köter den arsch zu lecken... er weiß nicht, daß es lebensgefährlich sein könnte... er weiß nicht, daß die sonne sein verdorrtes hirn endgültig austrocknen, trockenlegen wird... er weiß nicht, daß er gut sichtbare spuren hinterlassen hat... er weiß nicht, daß er verfolgt wird... er weiß nicht, daß er getötet wird...
                                                     (1.6.90)
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weiter gehts... (2.6.90)
es geht immer noch weiter... viel weiter... (2.6.90)
das passwort lautet:  c o y o t e  (2.6.90)

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Anmerkungen:

Hier sind die Grenzen total verwischt. Die Zitate bedeuten mir ebensoviel wie das Eigene; sie sind schließlich nichts anderes als Angeeignetes.

'Schreiben': ca. 1983.
'Der rote Faden': entstanden am 13.9.1980.
'Der Beruf des Kritikers': entstanden am 17.11.1981.
'Vorher/Nachher - Original und Fälschung': entstanden Ende Juli 1988.
'Der Flug der Möve im traurigen Café': entstanden in den frühen siebziger Jahren (ca. 1973).
'Neues von William': ca. 1975.
'MARY ANNE. Roman': entstanden Juni-Oktober 1972, korrigiert im Februar 1983.
'William-Fragmente': ca. 1977-1981 habe ich versucht, einen Roman zu schreiben, dessen Helden William (= ICH) und Julia heißen sollten; der Plan ist gescheitert. Vgl. auch 'Gedicht für Julia' und 'Neues von William'.
'Tätigkeitswörter': überarbeitete Tagebuchnotizen aus der ersten Hälfte der 70er Jahre.
'Text'/'Text zwei-vier': überarbeitete Notizen aus den Jahren 1973-78.
Die Folge 'Notizen I-VI' sind Tagebuchaufzeichnungen aus den Jahren 1975-1982.
'Letzte Notizen': überarbeitete Tagebuchnotizen aus der zweiten Hälfte der 70er Jahre.
'Tagebuchblätter': während und nach einem Frankreichaufenthalt im Sommer 1977 geschrieben; -  und auch noch später (vgl. die Daten).
 
 


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