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Jean-Luc Godard / Jean-Pierre Gorin
BEFRAGUNG EINES BILDES
(Ein Brief für Jane)


Der Text erschien unter dem Originaltitel Enquête sur une image in der Zeitschrift TEL QUEL Nr. 52 (Winter 1972). Er ist zugleich das Protokoll eines Films mit dem Titel Une lettre pour Jane (Ein Brief für Jane). Mit Genehmigung von TEL QUEL und der Filmmacher / Autoren zum Druck besorgt und übersetzt von Gerhard Theuring. - Hier zitiert aus: FILMKRITIK Nr. 211, München, Juli 1974, Seite 290-307.
Der Text (li) lautet:
Rückkehr aus Hanoi. -
Jane Fonda, Bewohner von Hanoi über die amerikanischen Bombardierungen befragend. -
Zwei Amerikaner in Hanoi. Zwei verschiedene Ansichten. Der erste, Joseph Kraft, ist einer der bekanntesten und umsichtigsten amerikanischen Journalisten. Die andere, die Schauspielerin Jane Fonda, ist eine leidenschaftliche Kämpferin für den Frieden in Vietnam. Joseph Kraft war Anfang Juli für vierzehn Tage in Hanoi. Sein Ziel war, nach verschiedenen diplomatischen und militärischen Initiativen von Präsident Nixon, die Friedenschancen zu taxieren. Seine Schlußfolgerung: eine politische Lösung ist möglich, jedoch wenig wahrscheinlich. Auch Jane Fonda ist für vierzehn Tage in Hanoi gewesen, eingeladen vom Komitee für die Freundschaft mit dem amerikanischen Volk. Ihre Schlußfolgerung: die Amerikaner bombardieren die Deiche und die Bevölkerung. Es ist ein sinnloses Verbrechen, der Krieg ist verloren. LŽExpress hat sich den Augenzeugenbericht von Joseph Kraft und die Photo-Reportage von Jane Fonda für die Veröffentlichung gesichert.


 
Liebe Jane,
wir haben es vorgezogen, das Presse Heft, das Tout va bien zu den Festivals von Venedig, Karthago, New York und San Francisco begleitet, mit einem Photo von Dir in Vietnam, statt mit einem Photo aus dem Film zu versehen. Wir haben dieses Photo Anfang August'72 in einer Ausgabe von l'Express gefunden, und wir denken es wird uns erlauben, sehr anschaulich über die schwierigen Fragen zu sprechen, die mit Tout va bien sich verbinden.
 
Es geht uns nicht darum, das Gespräch abzubiegen um nicht von Tout va bien sprechen zu müssen, so als hätten wir Angst, über diesen Film zu reden, überhaupt nicht. Sondern es geht eher darum, nicht auf der Stelle zu treten (wie die Truppen der Marionette Thieu in Quang Tri), was früher oder später, um aus der Klemme herauszukommen, die anderen um sich schlagen läßt (wie die Granaten der 7. Flotte auf Quang Tri). Wenn wir also einen Umweg machen wollen, so ist das, gewissermaßen, ein direkter Umweg. Das will heißen ein Umweg, der es uns erlauben wird, direkt die furchtbar kleinen Probleme anzugehen, die, schlecht und recht, der Film, den wir Anfing dieses Jahres zusammen gedreht haben, aufwirft.
 
Und statt sofort in allen Einzelheiten von den Qualitäten und von den Fehlern unseres Films zu sprechen, ziehen wir es vor, die Kritiker, die Journalisten, die Zuschauer einzuladen, mit uns zusammen den Versuch zu unternehmen, dieses Photo zu analysieren, das Dich in Vietnam zeigt und das einige Monate, nachdem wir den Film in Paris gemacht hatten, aufgenommen worden ist. Tatsächlich scheint uns dieses Photo mit seinem kurzen Begleittext besser in der Lage zu sein, Tout va bien zu resümieren, als wir es könnten. Und das aus einem ganz einfachen Grund. Dieses Photo beantwortet eine Frage, die auch die des Films ist: welche Rolle haben die Intellektuellen in der Revolution zu spielen. Darauf gibt das Photo eine praktische Antwort (es gibt die Antwort seiner Praxis). Dieses Photo zeigt Dich, tatsächlich Dich, Jane, im Dienst für den Unabhängigkeitskampf des vietnamesischen Volkes.
 
Auf diese Frage antwortet auch Tout va bien, jedoch nicht auf die gleiche Art und Weise. Denn, der Antworten weniger sicher als das Photo, stellt der Film zuerst andere Fragen. Fragen, die schließlich darauf hinaus laufen, nicht in dieser Weise die Frage nach den Intellektuellen und der Revolution zu stellen. Wie also diese Frage stellen?
 
Der Film antwortet noch nicht genau. Aber die Art und Weise, in der er noch nicht antwortet ist in der Tat eine indirekte Form neue Fragen zu stellen. Denn es ist nicht dienlich, den neuen Fragen, die sich aus der aktuellen Entfaltung der revolutionären Kämpfe heraus ergeben, mit alten Antworten aufzuwarten. Auch gilt es, diese neuen Fragen an diejenigen heranzubringen, die, so sie noch nicht die Zeit gefunden haben, diese in aller Klarheit zu formulieren, doch schon das Feld erobert haben, auf dem diese blühen und sich entfalten könnten, und die es erobert haben durch eine neue Praxis.
 
Wir haben Dir gesagt, daß die Art und Weise, in der wir nicht wirklich antworten, wirklich wie die Vietnamesen und Du auf diesem Photo, in der Tat eine indirekte Form sei zuerst neue Fragen zu stellen. Eine indirekte Form. Eine Form, die einen Umweg beschreibt. Du bist jetzt in der Lage, die Notwendigkeit eines Umwegs, der vor dem Sprechen über den Film liegt, zu begreifen. Erstens, weil alle Welt sich darin einig ist, daß sich dort wirklich neue Fragen stellen. Und weiter, weil Du bei ihnen warst, nachdem Du mit uns zusammen gewesen bist.
 
Daraus entsteht in uns, der wir dieses Photo einer Schauspielerin auf der Bühne des Handelns betrachten, der Wunsch, es zu befragen. Nicht die Schauspielerin befragen, sondern das Photo. Was für uns heißt zurückkommen auf eine gewisse Anzahl neuer Fragen, die sich stellen angesichts der klassischen Antwort, die die Vietnamesen und Du, der ihr dieses Photo aufnehmt und verbreitet, gegeben habt auf diese berühmte Intellektuellenfrage.
 
Es gibt noch ein Anderes, was in unserer Entscheidung, anhand dieses Photos einen Umweg über Vietnam zu machen, mitgewirkt hat. Dieses Etwas ist unser Wunsch, wirklich mit den Zuschauern über den Film zu sprechen, seien sie Journalisten oder nicht, denn jeder ist sein eigener Journalist und Leitartikelschreiber in dem, wie er sich seinen Tagesablauf erzählt, wie er ihn schildert, ihn sich vorstellt, wie er sich sein eigenes "kleines Kino" macht angesichts dessen, was er täglich tut und arbeitet. Und es ist gerade von diesem "kleinen Kino", nicht von dem anderen, von Lumière und der industriellen Revolution erfundenen, worüber wir schließlich mit unseren Zuschauern sprechen wollen. Aber um das tun zu können, müssen wir einen Umweg machen. Denn, auf die gleiche Weise, in der ein Film eine Art Umweg ist, der uns zu uns selber führt, müssen wir diesen Umweg durch uns selber hindurch vornehmen, um auf den Film zurückzukommen. Und: hier, in den USA, wir selber, das ist zu allererst, augenblicklich, immer noch und immer wieder Vietnam.
 
Wir möchten das etwas ausführlicher erläutern. Wir denken, daß es wichtig ist und dringlich, wirklich zu jenen zu sprechen, die sich die Mühe gemacht haben, sich unseren Film anzusehen. Wirklich, das heißt: dort, wo sie sich befinden und ebenso dort, wo wir uns befinden. Es muß also erst die Voraussetzung geschaffen werden, daß sie wirklich Fragen stellen können, wenn sie dazu Lust haben, oder Antworten geben auf die Fragen, die wir gestellt haben. Sie müssen in eine Lage gebracht werden, wo sie nachdenken können. Nachdenken zuerst über dieses Problem der Fragen und der Antworten. Und ebenso müssen wir in die Lage kommen können, wo wir wirklich aufgerüttelt und aufgelockert werden durch die Fragen (oder die Antworten) der Zuschauer und wo wir auf eine andere Weise antworten (oder fragen) können denn mit fertigen Antworten (oder Fragen), die es auf ebenso fertige Fragen (oder Antworten) gibt. Fertig durch wen? Für wen? Gegen wen?
 
Also werden wir uns, um eine Diskussion um Tout va bien besser zu ermöglichen, außerhalb von Tout va bien aufhalten. Um von dieser Maschine zu sprechen, gehen wir aus der Fabrik heraus, die diese benutzt. Wir werden die Basis der Diskussion außerhalb des Kinos finden, aber nur, um besser dorthin zurückzukehren. Und, wenn wir zurückgekommen sein werden, um einen neuen Anfang zu machen in Richtung der wirklich wichtigen Fragen unseres wirklichen Lebens, wovon das Kino nur eines der Elemente gewesen sein wird.
 
Wir werden Tout va bien nicht hinter uns oder im Stich lassen. Wir werden im Gegenteil davon ausgehen, um woanders hinzugelangen, nach Vietnam zum Beispiel, da Du von dort zurückkehrst. Aber, das ist das Entscheidende, wir werden dorthin gelangen durch unsere eigenen Mittel.
 
Um welche Mittel handelt es sich? Um unsere technischen Arbeitsmittel und um den sozialen Gebrauch, den wir davon machen (Du auf diesem Photo in Vietnam, wir in dem Film in Paris) und eben von diesem Gebrauch aus werden wir besser in der Lage sein zu urteilen. Und dieses Mal werden wir nicht allein sein, es wird auch der Zuschauer dabei sein, er wird zur gleichen Zeit produzieren und verbrauchen, so wie wir uns in derselben Zeit, in der wir produzieren, verzehren werden.
 
Vielleicht scheint Dir dies alles kompliziert. In einer Weise, von der Wertow zu Lenin sprach: daß nämlich die Wahrheit einfach sei, nicht jedoch, sie zu sagen; oder von der Art, von der, in seiner Epoche, Onkel Brecht sprach, als er fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit ausfindig machte. Gut. Wir werden das anders erklären.
 
Es wird heute oft gesagt, der Film müsse "dem Volke dienen". Okay. Statt über die Fehler und Qualitäten von Tout Da bien zu theoretisieren, werden wir uns nach Vietnam begeben. Aber wir werden dorthin gelangen durch die Mittel und mit den Mitteln von Tout va bien. Wir werden zuschauen, falls man das sagen kann, wie Tout va bien in Vietnam "arbeitet". Anschließend wird es vielleicht möglich sein, aus diesem praktischen Beispiel Schlüsse zu ziehen auf das, was zu tun und nicht zu tun ist, von jedem von uns dort, wo er sich eben befindet, mit seiner Frau, seinem Vorgesetzten, seinen, Kindern, seinem Geld, seinen Wünschen, usw.
 
Kurzum, wir werden uns dieses Photos bedienen um nach Vietnam zu gelangen und um die Frage zu untersuchen: wie kann das Kino dem vietnamesischen Volk helfen, seine Unabhängigkeit zu erlangen. Und, wir haben es bereits mehrfach betont, wir sind nicht die einzigen, die sich dieses Photos bedienen, um nach Vietnam zu gelangen. Tausende und aber Tausende haben das bereits getan, wahrscheinlich hat schon jeder hier dieses Photo gesehen und, für wenige Sekunden, auf die eine oder andere Weise, sich seiner bedient, um nach Vietnam zu gelangen. Was zu wissen wir für wichtig halten ist: auf welche Weise er sich dieses Photos bedient hat, um nach Vietnam zu gelangen; in der Tat, wie er nach Vietnam gelangt ist. Denn auch Dr. Kissinger reist mehrmals im Jahr nach Vietnam.
 
Und just ein Typ wie der Dr. Kissinger wird uns fragen, warum dieses Photo? Und welche Verbindung es denn geben soll zwischen diesem Photo und Tout va bien. Und er und seine Freunde werden sagen, daß wir nicht aufrichtig sind, daß wir besser daran täten, über den Film zu sprechen, über die Kunst, usw. Es gilt jedoch zu begreifen, daß Überlegungen dieser Art ganz falsch sind, sie komplizieren alles und versperren damit den Weg zu anderen einfacheren Fragen (einfache Fragen in dem Sinn, in dem man von einfachen Leuten spricht).
 
Zum Beispiel, bevor man sagt: welche Verbindung, muß man vorher gefragt haben: gibt es eine Verbindung? Und wenn ja, erst danach fragen, welche. Und erst, nachdem man herausgefunden hat, welche Verbindung es gibt (hier werden wir später entdecken, daß die Verbindung zwischen unserem Film und diesem Photo die wichtige Frage des Ausdrucks ist) wird man eventuell ihre Bedeutung beurteilen können, das heißt andere Verbindungen mit anderen wichtigen Fragen herstellen und mit anderen wichtigen Antworten.
 
Das sieht nach nichts aus, bla-bla-bla wird man uns sagen. jedoch schaut am anderen Ende dieser neuen kleinen Kette von Fragen bereits eine außerordentlich wichtige Frage heraus, die Frage der Gewichtigkeit, die Andere die Frage nach dem praktischen Resultat nennen.
 
Und das deshalb, weil das Kollektiv Nord-Vietnam/Vietcong auf die Frage nach der Gewichtigkeit dieses Photos bereits geantwortet hat dadurch, daß es ihm gelungen ist, es ein wenig überall in der "freien" Welt (diese freie Welt, die es unterjocht) zu verbreiten; weil es also damit die Bedeutung, die es diesem Photo beimißt, unterstrichen hat; die Bedeutung, die es der Frage nach dem praktischen Resultat beimißt; die Bedeutung, die es der Frage der Gewichtigkeit beimißt.
 
Dieses Photo also ist eine praktische Antwort, die die Nord-Vietnamesen, mit Deiner Hilfe, lang, zu geben sich entschlossen haben auf die berühmte Frage, die wir oben stellten: welche Rolle hat das Kino zu spielen in der Entfaltung der revolutionären Kämpfe? Eine berühmte Frage, die zurückgeht auf eine andere nicht minder berühmte: welches ist die Rolle der Intellektuellen in der Revolution?
 
Auf diese Frage, auf die das Photo eine praktische Antwort gibt (die Antwort der Praxis eines Volkes; das Photo wurde aufgenommen und an die Öff entlichkeit gebracht, und es wurde auf diese bestimmte Weise aufgenommen, um sicher zu gehen, daß es publiziert wird, links wie rechts, und es ist eine Tatsache, daß es verbreitet wird, sonst würden wir nicht darüber verfügen), auf diese Frage also antwortet auch Tout va bien. Aber von einem anderen Ort und auf eine andere Weise. In der Weigerung nämlich, auf der Stelle diese Art von Antworten zu geben. Eine Art und Weise, die darauf besteht zu sagen: hier, wo wir uns befinden, in Frankreich, im Jahr 1972, regiert durch die Freunde der Amerikaner und der Russen, ist nicht alles so eindeutig, ist nicht alles so offensichtli& (Wir erinnern insbesonders an Fidel Castro, der in einer Rede vor der UNO gesagt hat, für Revolutionäre werde es niemals evidente Wahrheiten geben, daß es der Imperialismus sei, der sie erfunden habe, und daß die Großen sich geschickt der evidenten Wahrheiten bedienten um die Kleinen zu unterdrücken).
 
Und weil nicht alles offensichtlich ist, Jane, laß uns fortfahren Fragen zu stellen, aber unterziehen wir uns der Anstrengung, sie anders zu stellen, kurz, laß uns neue Fragen stellen um neue Antworten geben zu können. Laß uns zum Beispiel darauf schauen, wie die Vietnamesen ihren Kampf übersetzen, und laß uns uns Fragen stellen, da auch wir unseren Kampf übersetzen wollen. Und laß uns zuallererst fragen, was uns erlaubt zu sagen, daß wir wirklich kämpfen.
 
Aber vielleicht wirst Du uns an dieser Stelle fragen: warum dieses Photo von mir und nicht eines von Ramsey Clarke, zum Beispiel, auch er ist in Vietnam gewesen, auch er hat die Bombardierung der Deiche bezeugt. Ganz einfach, Jane: wegen Tout va bien, und weil Deine soziale Stellung in dem Film die gleiche gewesen ist wie auf diesem Photo. Du bist eine Schauspielerin. Wir alle sind Schauspieler auf dem Theater der Geschichte, einverstanden, aber darüber hinaus machst Du Filme und wir auch. Also warum nicht Yves Montand in Chile, könntest Du einwenden. Auch er war in dem Film. Das stimmt. Jedoch hat es sich ergeben, daß die chilenischen Revolutionäre es nicht für richtig befunden haben, Photos von Yves zu verbreiten, während die vietnamesischen Revolutionäre es für richtig befunden haben, mit Deiner Zustimmung, Photos von Dir zu verbreiten (genauer, Photos zu verbreiten von Deiner Übereinstimmung mit der vietnamesischen Sache).
 
Darüber hinaus gibt es ein anderes Problem, dem wir nicht ausweichen wollen. Wir sind zwei Jungs, die Tout va bien gedreht haben, und Du bist ein Mädchen. In Vietnam stellt sich die Frage so nicht, aber hier doch. Und als Frau wirst Du sicher ein wenig oder auch sehr gekränkt sein durch die Tatsache, daß wir ein wenig oder auch sehr die Art und Weise kritisieren werden, in der Du in diesem Photo spielst. Gekränkt, weil immer noch die Burschen es sind, die den Mädchen nachzustellen sich leisten können. Aus keinem anderen Grund hoffen wir, daß Du mit lauter Stimme auf unseren Brief wirst antworten können, in dem Maß, wie wir diesen an zwei oder drei Orten in den USA werden lesen können.
 
Andererseits ist es auch richtig, daß in den USA oder in Europa wir soweit noch nicht sind (oder soweit schon sind). Und Du und wir, wir sitzen in demselben Schlamassel, einem großen Schlamassel/Bordell, und dieses Photo wird uns helfen, da etwas Licht hinein zu bekommen. Wir nehmen als unseren Ausgangspunkt: Dich in den USA. Uns in Paris. Dich und uns in Paris. Dich in Vietnam. Uns in Paris, Dir in Vietnam zuschauend. Uns, die wir in die USA kommen werden. Und jedermann hier in diesem Kino, der uns zuhört während er Dich anschaut. Von alledem gehen wir aus. Das alles ist auf eine bestimmte Weise organisiert, funktioniert auf eine bestimmte Weise. Wir haben Lust, darüber zu diskutieren und davon auszugehen. Von Tout va bien auszugehen, nach Vietnam zu gelangen, auf Tout va bien zurückzukommen, das heißt von Vietnam zurückzukommen in diesen Saal, wo wir eben Tout va bien zeigen, um danach nach Hause zu gehen und morgen wieder in die Fabrik.
 
Um das alles besser diskutieren zu können, schieben wir den Leuten dieses Photo unter die Augen. Oder besser, wir schieben es ihnen noch einmal unter. Denn die Nord Vietnamesen und Du, ihr hattet es ihnen schon untergeschoben. Anders gesagt, wir fragen, und wir fragen uns: hatten wir das Photo betrachtet? Was hatten wir in dem Photo gesehen? Und unter jeder Frage entdecken wir eine neue. Zum Beispiel: wie haben wir dieses Photo angeschaut? Wie hat unser Blick, während er auf das Photo gerichtet war, funktioniert? Und woher kommt es, daß er so funktioniert und nicht anders? Und noch eine andere Frage: wie kommt es, daß unsere Stimme unseren stummen Blick auf diese Art und Weise übersetzt und nicht auf eine andere?
 
Und es sind eben alles dies Fragen, die Tout va bien uns stellt. Sie lassen sich zusammenfassen in der großen Frage nach der Rolle der Intellektuellen in den revolutionären Kämpfen. Oder es ist eher so, daß man anfängt zu sehen, wie diese große und berühmte Intellektuellenfrage sich selber blockiert, wenn sie sich so stellt. Und wie sie die anderen blockiert. Und schließlich, daß dies eine revolutionäre Fragestellung gar nicht mehr ist. Die aktuelle Frage der Revolution (das werden wir anhand dieses Photos und anhand des Films entdecken), wäre eher: wie die alte Welt ändern? Und wir sehen sogleich, daß die alte Welt des Vietcong nicht dieselbe ist wie die eines westlichen Intellektuellen, daß die alte Welt eines Palästinensers nicht dieselbe ist wie die eines schwarzen Getto Kindes, daß die alte Welt eines Arbeiters von Renault nicht dieselbe ist wie die seiner kleinen Freundin.
 
Wir sehen also, daß dieses Photo eine praktische Antwort gibt auf die Frage nach der Veränderung der alten Welt. Wir werden also diese Photo/Antwort prüfen, wir werden sie untersuchen. Wir werden auf Anhaltspunkte hinweisen. Wir werden diese Punkte analysieren und zusammenfassen. Wir werden versuchen, die Organisation der Elemente, aus denen dieses Photo sich zusammensetzt, zu erklären. Wir werden das einerseits erklären, als handelte es sich dabei um einen physikalisch-photographischen Kern, und andererseits, als handelte es sich um eine photographisch soziale Zelle. Anschließend werden wir versuchen einen Zusammenhang herzustellen zwischen der wissenschaftlichen und der mehr politischen Erforschung ("woher kommen die richtigen Ideen: vom Kampf um die Produktion, vom Klassenkampf und vom wissenschaftlichen Experiment", Mao).
 
Diese Untersuchung durchführen, dieses Photo befragen, was ist das anderes als der Versuch herauszufinden, wie (unter der Bedingung des Kampfes in Vietnam) die Antwort, die dieses Photo gibt, ausgefallen ist. Wir werden also feststellen können, ob diese Antwort ganz und gar und für jedermann (für wen? gegen wen?) befriedigend ist und ob nicht vielleicht andere Fragen auftauchen, dieselben, die schlecht und recht Tout va bien uns stellt.
 
Wir werden zum Beispiel sehen, was einen wichtigen Teil des Photos betrifft (der Gesichtsausdruck der Schauspielerin, die Beziehung Mund/Blick), daß wir uns, in West-Europa, unserer Meinung nach, nicht mit dem gleichen Recht wie seine Autoren, die, die das Photo aufgenommen oder es zu verwenden sich entschlossen haben (das Kollektiv Nord-Vietnam/Vietcong; was auf den ersten Blick völlig normal ist, da die Bedingungen andere sind; jedoch werden wir uns aufmerksamer und auch hartnäddger als sie der Frage, was dieses "normale" bedingt, zu widmen haben) damit zufrieder geben können.
 
Was zu sagen mit einschließt, daß wir es uns nicht so einfach machen können wie die Mehrzahl der kommunistischen Parteien des Westens und ihre Anhängsel (der Papst, die UNO, das Rote Kreuz), die sich damit begnügen zu sagen: helfen wir den Vietnamesen Frieden zu machen. Sagen, was wir gesagt haben, schließt im Gegenteil ein viel Präziseres mit ein. Zum Beispiel: helfen wir der Allianz Nord-Vietnam und Süd-Vietnam ihren Frieden zu machen. Noch genauer: da Vietnam, indem es seine alte Welt verändert, uns dabei hilft, die unsere zu ändern, wie können wir unsererseits ihm wirklich zu Hilfe kommen. Und: da das Kollektiv Vietcong/Nord-Vietnam in Süd-Ost-Asien kämpft, es kritisiert und umgestaltet, wie können wir auf unserem Platz kämpfen so, daß Europa und Amerika sich verändern?
 
Sicher, es wäre etwas mehr zu sagen (als: Friede in Vietnam) und etwas genauer zu tun (als 2 oder 3 Vietnams zu schaffen) und es war Marx, der schon seine Leser eindringlich um diese Einsicht bat (im Vorwort zur ersten Auflage des Kapital), selber nicht die "Spitzfindigkeiten" fürchtend, derer es bedarf, um den "König der Hölle zu stürzen und die Teufelchen zu befreien".
 
Vor einigen Monaten mit diesem Photo konfrontiert, durch Dich, Jane, und durch die Vietnamesen, heute erneut damit konfrontiert durch uns, kann jeder, wenn er es will, seine eigene Erforschung anstellen. Wir werden anschließend ganz frei die Resultate vergleichen können. Wir werden das Wort ergreifen können, ohne es dadurch dem, der zuhört, zu entziehen. Kurz, wir werden vielleicht, für einen kurzen Augenblick, einige Dummheiten weniger zu sagen haben über uns und die Revolution.
 
Noch etwas. Damit Du Dich nicht persönlich angegriffen fühlst (aber ohne das wirklich verhindern zu können, und wir denken, daß die Frage auf diese Weise noch schlecht gestellt ist, und daß wir am Ende des Briefs auch darin Fortschritte gemacht haben werden, und aus diesem Grund halten wir es für sehr wichtig, daß Du uns direkt antwortest, denn wir schreiben Dir nicht nur als die Regisseure von Tout va bien, sondern ebenso als Leser dieses Photos, und Du wirst zugeben müssen, daß es das erste Mal ist, daß Leute, die ein Photo von Dir in der Zeitung gesehen haben, Dir in dieser Form schreiben), damit Du Dich also nicht direkt, wie es heißt, "aufs Korn genommen" fühlst, damit Du merkst, daß wir nicht Jane anvisieren, sondern eine Funktion von Jane Fonda, werden wir, wenn wir das Photo weiter befragen, von Dir in der dritten Person sprechen. Wir werden nicht sagen, Jane hat dies getan und Jane hat das getan, wir werden statt dessen von der Schauspielerin sprechen oder von der Militanten, so wie es übrigens auch der Begleittext des Photos tut.
 
Hier also, was unserer Ansicht nach die Hauptelemente (und die Elemente der Elemente) sind, die eine wichtige Rolle spielen in dieser Photographie, die erschienen ist in der französischen Zeitschrift l'Express, Anfang August 1972.
 
ELEMENTARE ELEMENTE
 
- Dieses Photo ist aufgenommen worden auf den Wunsch der Regierung Nord-Vietnams, die bei diesem Anlaß die revolutionäre Allianz der Völker von Nord Vietnam und Süd Vietnam repräsentierte.
 
- Dieses Photo ist aufgenommen worden von Joseph Kraft, der unter dem Photo vorgestellt wird in einem Text, der nicht von denen redigiert worden ist, die an der Aufnahme des Photos beteiligt waren, sondern von denen, die es verbreiten; also durch einen Text, der redigiert worden ist durch einen oder mehrere Redakteure von l'Express, die sich hierfür mit der nord-vietnamesischen Delegation in Frankreich nicht in Verbindung gesetzt haben (wir haben es nachgeprüft).
 
- Dieser Text sagt, es handele sich um einen der bekanntesten und umsichtigsten amerikanischen Journalisten (bekannt und umsichtig). Der Text sagt außerdem, die Schauspielerin sei eine Militante, die leidenschaftlich für den Frieden in Vietnam kämpft (Militante für den Frieden in Vietnam). Der Text spricht nicht von den Vietnamesen, die auf dem Photo zu sehen sind. Zum Beispiel sagt dieser Text nicht: der Vietnamese, der, im Grunde genommen, nicht zu sehen ist, ist einer der am wenigsten bekannten und am wenigsten umsichtigen Vietnamesen.
 
- Diese Photo ist, wie jedes Photo, physisch stumm. Und es spricht durch den Mund dessen, was darunter geschrieben steht. Diese Erläuterung unterstreicht und wiederholt nicht (denn das Photo spricht und sagt die Dinge auf seine Weise), daß die Militante den Vordergrund und der Vietnamese den Hintergrund abgeben. Diese Erläuterung sagt: "Jane Fonda befragt die Einwohner von Hanoi." Aber die Zeitschrift veröffentlicht weder die gestellten Fragen noch die Antworten, die von den Repräsentanten des vietnamesischen Volkes auf diesem Photo gegeben wurden.
 
- Wir können schon anmerken, daß diese Erläuterung praktisch lügt. Tatsächlich hätte die Erläuterung nicht lauten dürfen: Jane Fonda befragt, sondern: Jane Fonda hört zu. Diese Tatsache läßt die Augen ebenso sicher bersten wie ein Laser Strahl es vermag. Vielleicht hat das Zuhören nur 1/250 Sekunde gedauert, aber es ist dies 250stel, was aufgenommen und verbreitet worden ist.
 
- Sicherlich wird sich diese Erläuterung damit herausreden wollen, daß das doch nur ein Schnappschuß sei, der während einer Unterhaltung aufgenommen wurde, in der die Schauspielerin/Militante wirklich die Einwohner von Hanoi befragt habe, und daß es also müßig sei, diesem Detail des geschlossenen Mundes allzu große Bedeutung beizumessen. Wir werden jedoch weiter unten sehen, daß es sich dabei überhaupt nicht um einen Zufall handelt. Oder besser, daß es sich sehr wohl um einen Zufall handelt, der jedoch im Innersten ausgebeutet wird von der kapitalistischen Notwendigkeit, die das Reale in dem Augenblick selbst zu verhüllen trachtet, in dem sie es bloßlegt, kurz, von der Notwendigkeit für das Kapital, über die Ware zu "täuschen".
 
WENIGER ELEMENTARE ELEMENTE
 
- Die Aufnahmeposition des Apparats entspricht dem, was man einen Gegenschuß nennt. Das ist heute, in der Geschichte der Filmaufnahmen, keine unschuldige Position (sie ist sehr wohl technisch-sozial definiert worden, wenngleich unbewußt, durch die ersten Filme von Orson Welles). Heute wird beispielsweise der Faschist Clint Eastwood immer in Gegenschuß Aufnahmen gefilmt.
 
- Auch die Wahl des Ausschnitts ist weder unschuldig noch neutral: aufgenommen wurde die Schauspielerin, die schaut, nicht das, was sie anschaut. Das heißt, sie ist so aufgenommen worden, als sei sie die Hauptdarstellerin. Und das nur, weil die Schauspielerin tatsächlich ein international bekannter Star ist. Kurzum, aufgenommen wurde der Filmstar, der sich engagiert, einerseits, und, in derselben Bewegung, die Militante als der Star andrerseits. Was nicht dasselbe ist. Oder aber, was möglicherweise dasselbe ist in Vietnam, nicht jedoch in Europa oder in den USA.
 
- Auf der folgenden Seite bekommt man übrigens zu sehen nicht, was die Militante auf diesem Photo angeschaut hat, sondern was sie in anderen Augenblicken gesehen hat. Nach unserer Ansicht ist das die gleiche Kette von Bildern des gleichen Typs wie jene, die uns über die Fernsehkanäle und die Zeitungen der "freien" Welt erreichen. Bilder, wie man sie schon zu hunderttausenden von Malen gesehen hat (ebensooft wie Bomben), und die nichts zu ändern vermögen, es sei denn bei jenen, die dafür kämpfen, daß diese Kette von Bildern in einer bestimmten Weise organisiert wird, in der ihrigen (die 7 Punkte des GRP). Tatsächlich wäre diese Reportage, mit den Namen Dupont oder Smith unterzeichnet, von denselben Zeitungen als zu banal zurückgewiesen worden. Es wird, mittlerweile, für die Kinder eines Bauerndorfes in der Peripherie von Hanoi, ein banaler Tatbestand sein, daß sie ihre von den Phantom Jägern des Dr. Kissinger zerstörte Schule zum zwanzigsten Mal wiederaufbauen müssen. Aber von dieser ganz außergewöhnlichen Banalität wird, ganz sicher, niemand sprechen, weder die als Star fungierende Militante noch l'Express.
 
- Wir werden auch nichts erfahren darüber, was die amerikanische Schauspielerin und ihre Schwestern, die vietnamesischen Schauspielerinnen, die auf einem der Photos auf der nächsten Seite zu sehen sind, sich zu sagen gehabt haben'. Hat die amerikanische Schauspielerin sich erkundigt, wie in Vietnam gespielt wird, oder wurde die Frage erörtert, auf welche Weise ein Hollywoodschauspieler, in der Umgebung Hanois, zu spielen hätte, oder wurde darüber gesprochen, daß er von hier nach Hollywood zurückkehren wird? Wir nehmen an, daß l'Express von alledem nicht spricht, weil die Schauspielerin auch nicht davon gesprochen hat.
 
- Es ist richtig: die Militante hat von den Sprengbomben und von den Deichen gesprochen. Was wir jedoch nicht außer acht lassen dürfen ist die Tatsache, daß die Militante auch Schauspielerin ist, was weder auf das Russel-Tribunal noch auf Ramsey Clarke zutrifft. Und wir müssen unserer Meinung nach der Tatsache, daß sie eine Schauspielerin ist, Rechnung tragen, weil auf Grund dieser Tatsache das Weiße Haus, wenn man es gewähren läßt, leichtes Spiel haben wird zu behaupten, daß die Schauspielerin manipuliert worden sei, und daß sie einen auswendig gelernten Text aufsage. So eine Kritik kann leicht alle Anstrengungen der Schauspielerin und der Militanten zunichte machen. Und es muß erkannt werden, wieso dieses Zunichternachen möglich ist. Wir denken, es ist in diesem Fall deshalb möglich, weil die militante Schauspielerin nicht von den Deichen gesprochen hat ausgehend, beispielsweise, von einer vietnamesischen Schauspielerin, die diese zuerst wieder instandsetzt und aufschüttet, um anschließend in dem Dorf, das durch den Deichbruch in Mitleidenschaft gezogen worden ist, eine Theatervorstellung zu geben.
 
- Es scheint uns in diesem Fall schon so zu sein, daß, wenn die Militante ausgehen würde von der Schauspielerin (und das tun, auf dem Niveau ihrer Bedürfnisse, die Vietnamesen, die sie benutzen), sie damit zugleich auch anfangen würde, ihre Rolle historisch (historisch) anders zu spielen als in Hollywood. Vielleicht haben die Vietnamesen überlegungen dieser Art noch nicht nötig, dagegen die Amerikaner wahrscheinlich schon, und also, indirekt, auch die Vietnamesen (wir stoßen hier wieder auf die Notwendigkeit eines Umwegs. Die Vietnamesen sind gezwungen, einen Umweg über die USA zu machen).
 
- Auf diesem Photo, auf diesem Reflex der Realität, sind zwei Personen von vorn, die andern von hinten aufgenommen. Von diesen beiden Personen ist die eine klar umrissen, die andere ist verschwommen. Auf dem Photo ist es die berühmte Amerikanerin, die klar umrissen, und der unbekannte Vietnamese, der verschwommen ist. In der Realität ist es die amerikanische Linke, die verschwommen und die vietnamesische Linke, die ausgesprochen klar ist. Zugleich, in der Realität, ist es auch die amerikanische Rechte, die immer ausgesprochen klar ist, während die vietnamesische Rechte, die "Vietnamisierung", bereits mehr und mehr an Kontur verliert. Was ist nun zu halten von der "Umsichtigkeit" eines Joseph Kraft, der alle Gegensätze eingeebnet und dementsprechend die Blende und die Entfernung eingestellt hat. Das alles hat sein Maß, wir haben es am Ausschnitt gesehen, in der bestimmten Absicht, den kämpfenden Star in den Mittelpunkt zu rücken, um so zu einem bestimmten Produkt zu kommen, einer Ware/Idee, und das wiederum innerhalb eines bestimmten Musters. Die Produktion dieses Produkts, erinnern wir uns, wird direkt kontrolliert durch die nord-vietnamesische Regierung. Seine Verbreitung jedoch außerhalb Vietnams ist es nicht mehr, oder sehr indirekt (wir sprechen noch nicht einmal von der Rückwirkung dieser Verbreitung auf die Produktion). Diese Verbreitung wird kontrolliert von den Fernseh- und Zeitungs-Ketten der "freien" Welt. Es gibt also einen Teil des Musters, der den Zeichnern entwischt. Welcher Teil? Und um welchen Teil welchen Spiels handelt es sich? Und gespielt von wem? Für wen? Gegen wen? Lassen wir es hier bewenden mit der Feststellung (wir werden später darauf zurückkommen), daß, wenn wir die Beziehung klar/verschwommen, wie sie sich darstellt in den beiden Gesichtern, untersuchen, wir eine außergewöhnliche Sache entdecken: es ist das verschwommene Gesicht, das am klarsten und das klarste, das am verschwommensten ist. Der Vietnamese kann es sich leisten, verschwommen zu sein, weil er seit langem in der Realität klar und deutlich ist. Der Amerikaner ist gezwungen, deutlich in Erscheinung zu treten (und es ist der verschwommene Vietnamese, der ihn auf sehr deutliche Art und Weise dazu zwingt). Der Amerikaner ist gezwungen, sein verschwommenes Reales in den Schärfenbereich zu rücken.
 
ELEMENTE VON ELEMENTEN
 
- Dieses Photo verdoppelt ein anderes Photo der Schauspielerin, das den Umschlag abgab für dieselbe Nummer von l'Express. Dieser Ausdruck des Umschlags (couverture) läßt, falls man sich die Mühe macht, das zu sehen, darauf schließen, daß ein Photo eine Sache in dem Maße verschleiern (recouvrir) kann, wie es sie enthüllt (découvrir). Es gebietet das Schweigen in demselben Moment, in dem es spricht. Wir sind der Ansicht, daß es der doppelte Aspekt von Jekyll und Hyde, von fixem und variablem Kapital, ist, den die Information/Deformation zu ihrer grundlegenden technischen Voraussetzung hat, wenn sie sich umsetzt in Bilder/Töne in einer Epoche, die die unsere ist, die des Niedergangs des Imperialismus und der allgemeinen Tendenz zur Revolution.
 
- Die amerikanische Linke hat oft betont, die Tragödie sei nicht zu suchen in Vietnam, sondern in den USA. Der Gesichtsausdruck der Militanten auf diesem Photo ist tatsächlich der Ausdruck einer Tragödin. Einer Tragödin jedoch, die technisch wie sozial geprägt ist durch ihre Herkunft, das heißt geformt/verformt in der hollywoodschen Schule des stanislawskischen Show Business.
 
- Der Ausdruck der Militanten war der gleiche in Tout va bien, Rolle 3, wo sie, die Schauspielerin, einer Statistin zuhörte, die einen Text von Lotto Continua sang.
 
- Diese Art von Ausdruck hatte die Schauspielerin auch, als sie, in Klute, ihren Freund, einen Polizisten, gespielt von Donald Sutherland, mit tragischer und mitleiderregender Miene anschaute und sich entschloß, die Nacht bei ihm zu verbringen.
 
- Andrerseits ist das schon eine Ausdrucksform, derer sich Henry Fonda in den 40er Jahren bediente, um, in den Früchten des Zorns des späteren Faschisten Steinbeck, einen ausgebeuteten Arbeiter zu spielen. Und - noch etwas später in der Geschichte des Vaters der Schauspielerin innerhalb der Filmgeschichte - ist das auch der Ausdruck gewesen, dessen sieh Henry Fonda bediente, um, im Young Mr. Lincoln des späteren Ehren-Admirals der Navy, John Ford, eindringliche und tragische Blicke auf die Schwarzen zu werfen.
 
- Andrerseits, wiederum, kann man diese Ausdrucksform wiederfinden im entgegengesetzten Lager, wo John Wayne, in den Green Berets, die mit dem VietnamKrieg einhergehenden Verwüstungen schmerzlich bedauert.
 
- Wir sind der Meinung, daß dieser Ausdruck der dem Rooseveltschen New Deal zugehörigen Maske des Tauschs entlehnt (Interesse) worden ist. Tatsächlich ist das der Ausdruck eines Ausdrucks, und er kam auf durch einen notwendigen Zufall in demselben Moment, da der Tonfilm ökonomisch geboren wurde. Es ist dies ein sprechender Ausdruck, der jedoch nur spricht, um zu sagen, daß er viel weiß (über den Wall Street Krach zum Beispiel), mehr darüber aber nicht sagen wird. Das ist der Grund, denken wir, warum dieser Rooseveltsche Ausdruck sich technisch unterscheidet von den Arten des Ausdrucks, die es vor ihm gegeben hat in der Filmgeschichte, die der großen Stars des Stummfilms, Lillian Gish, Rudolph Valentino, Falconetti und Wertow, während wir die Worte hören: Film = Montage dessen, was ich sehe. Man muß nur einmal das Experiment machen und all diesen Gesichtern ein Photo zeigen von den Scheußlichkeiten in Vietnam: nicht eines dieser Gesichter wird den gleichen Ausdruck zeigen.
 
- Das kommt daher, daß der Stummfilm noch eine technisch materialistische Ausgangsbasis gehabt hat. Der Schauspieler sagte: ich bin (ich werde gefilmt) also denke ich (zumindest denke ich, daß ich gefilmt werde); ich existiere, also denke ich. Nach der Erfindung des Tonfilms hat es ein New Deal gegeben zwischen dem gefilmten Gegenstand (dem Schauspieler) und dem Denken. Der Schauspieler sagte von nun an: ich denke (daß ich ein Schauspieler bin), also bin ich (werde ich gefilmt). Ich denke, also bin ich.
 
- Es hatte, wie wir bei diesem Versuch (der das Kuleschowsche Experiment vertieft) haben sehen können, vor dem Ausdruck des New-Deal, jeder Stummfilm-Schauspieler seinen eigenen Ausdruck, und das Kino hatte zu jener Zeit eine wirklich populäre Basis. Dagegen fing, nachdem das Kino in der Weise des New Deal zu sprechen begonnen hatte, jeder Schauspieler damit an, das Immergleiche zu wiederholen. Wir könnten das Experiment mit gleich welchem Star des Kinos, des Sports oder der Politik wiederholen (einige Inserts von Raquel Welch, Pompidou, Nixon, Kirk Douglas, Solschenyzin, Jane Fonda, Marlon Brando, deutsche Politiker und Amtspersonen in München '72, während man die Worte hört: ich denke, also bin ich, und während man, im Gegenschnitt, die Leichen von Vietcongs sieht).
 
- Dieser Ausdruck, der auf vieles schließen läßt, worüber er nicht mehr und nicht weniger zu sagen bereit ist, kann dem Leser nicht behilflich sein, in seinen eigenen trüben Problemen klarer zu sehen (zu sehen, auf welche Weise Vietnam sie aufhellen könnte, beispielsweise). Warum also sich damit zufrieden geben und sagen: das ist besser als gar nichts, dieser kleine Dreh mag noch einmal so hingehen (der ganze Gewerkschaftsvortrag in Tout va bien, Rolle 3)? Und: wenn die Schauspielerin noch nicht fähig ist, anders zu spielen (und wir, wir sind noch nicht fähig, ihr dabei richtig zu helfen), warum sollten die Nord-Vietnamesen, auf diesem Gebiet, sich damit zufrieden geben? Und, vor allem: warum sollten wir uns zufrieden geben mit der Genügsamkeit der Vietnamesen in diesem Punkt? Wir denken, daß wir ihnen mehr Schlechtes als Gutes zu tun riskieren, wenn wir uns auf so billige Weise ein gutes Gewissen verschaffen (wissenschaftlich ausgedrückt: die Bewegung kostet nicht viel, die von der néguentropie zur Information verläuft). Schließlich wendet sich dieser Ausdruck auch an uns, an uns, die wir den Versuch machen, ihn ein zweites Mal zu betrachten. Und wir sind es, denen dieser Blick und denen dieser Mund nichts zu sagen haben, da sie sich allen Sinns entäußert haben; sie sagen uns ebenso wenig wie jene der tschechischen Kinder vor den groß-russischen Panzerwagen, oder die kleinen aufgeblähten Bäuche von Biafra oder Bangla Desh, oder die Füße der Palästinenser in dem von der UNWRA sorgfältig aufrechterhaltenen Dreck. Sinnentleert, Achtung!, für das Kapital, das die Spuren zu verwischen vermag, und das einen realen Blick mit leerem Sinn erfüllt, weil das der Blick seiner zukünftigen Gegner ist, den es also "abwesend" zu machen, nirgendwohin blicken zu lassen gilt.
 
- Wie gegen diesen Tatbestand kämpfen? Nicht, indem man aufhört, solche Photos im allgemeinen und dieses Photo, von dem wir spredien, insbesonders, zu publizieren (was hieße, unverzüglich die Gesamtheit der Rundfunk- und Fernseh-Sendungen in fast der gesamten Welt, ebenso wie die Gesamtheit der Zeitungen jeder Art, zu stoppen, was eine Utopie ist). Nein. Aber man kann sie anders machen. Und es ist in diesem "anders", daß die Stars, ihres finanziellen und kulturellen Gewichts wegen, eine Rolle zu spielen haben. Eine umwerfende Rolle sozusagen. Und die wahre Tragödie ist, daß sie nicht wissen, wie diese umwerfende Rolle zu spielen ist. Noch sind es die Vietnamesen, die sich aufopfern, sie, die Stars des revolutionären Unabhängigkeitskrieges. Wie diese Rolle spielen? Wie sie spielen lehren? Es stellen sich in Europa und in den USA noch viele Fragen, bevor klar und deutlich geantwortet werden kann. Wir stellen einige in Tout va bien (so wie Marx, zu seiner Zeit, ausging von der Deutschen Ideologie, um die Frage nach dem Elend der Philosophie stellen zu können, gegen Proudhon, der nichts anderes wußte als über das Elend zu philosophieren).
 
- Wenn man aufmerksam den Nord-Vietnamesen hinter der amerikanischen Schauspielerin betrachtet, kann man sehr schnell feststellen, daß sein Gesicht etwas ganz anderes ausdrückt als das der amerikanischen Militanten. Wir brauchen gar nicht zu wissen, was er anschaut; wenn wir ihn isolieren und das Feld um ihn abstecken, können wir feststellen, daß sein Gesicht auf das hinweist, was es jeden Tag zu sehen bekommt: Bombensplitter, zerstörte Deiche, entleibte Frauen, das Haus oder das Hospital, das zum x-ten Mal wiederaufzubauen ist, die zu lernende Lektion (Lenin sagte: erste Lektion: Lernen, zweite Lektion: Lernen, dritte Lektion: Lernen). Daß es in diesem Gesicht den augenblicklichen Reflex des täglichen Kampfes gibt, ist möglich aus einem ganz einfachen Grund: es ist nicht lediglich das Gesicht eines Revolutionärs, sondern das Gesicht eines vietnamesischen Revolutionärs. Es ist der französische, japanische und amerikanische Imperialismus, der seit langem und auf grausame Weise eine lange Vergangenheit von Kämpfen in dieses Gesicht eingeschrieben hat. Es ist dieses Gesicht, das seit langem und überall in der Welt als das Gesicht der Revolution anerkannt wird, selbst durch seine Feinde. Haben wir keine Angst vor den Worten: es ist ein Gesicht, das seinen eigenen Code der Kommunikation bereits erobert hat. Kein anderes Gesicht eines Revolutionärs wäre heute in der Lage, so unverzüglich auf den täglichen Kampf hinzuweisen. Ganz einfach weil es keine Revolution gibt, ausgenommen die chinesische, die schon den langen Marsch der vietnamesischen Revolution hinter sich hätte. Machen wir die Probe aufs Exempel. Von diesem Schwarzen können wir nicht unverzüglich sagen, warum er kämpft, wo und wie: in Detroit, an den Fließbändern von Chrysler, für einen besseren Lohn und einen weniger herabwürdigenden Produktionsrhythmus? In Johannesburg, für das Recht, in den Kinos der Weißen die von den Weißen gemachten Filme sehen zu dürfen? Und dieser Araber, und dieser Süd-Amerikaner, und dieser Europäer, und dieses amerikanische Kind? Wir müssen den Mut haben, zuzugeben, daß wir, sie anschauend, nichts zu sagen haben. Es sei denn, wir salbaderten, wie jener Begleittext, Dummheiten und Lügen, die wir auf unsere Rechnung nehmen. Und dieser Mut muß von sich sagen können, daß er Schwäche gewesen ist: wir sind geschlagen, wir haben nichts zu sagen. Im Gegenteil: vor diesem vietnamesischen Gesicht ist jede zusätzliche Erläuterung überflüssig. Überall in der Welt wird man sagen: das ist ein Vietnamese, und die Vietnamesen kämpfen, um die Amerikaner aus ganz Asien rauszuschmeißen.
 
- Isolieren wir, im Gegensatz dazu, das Gesicht der amerikanischen Schauspielerin. Wir sehen sehr schnell, daß es auf nichts verweist außer auf sich selber, aber auf ein sich selber, das nirgendwo ist, verloren in der unendlichen Grenzenlosigkeit der ewigen Zärtlichkeit einer Pieta von Michelangelo. Das Gesicht einer Frau, das auf nicht eine einzige Frau verweist (das Gesicht des Vietnamesen kam einer Funktion gleich, die auf ein Reales verwies, während das Gesicht der Amerikanerin eine Funktion ist, die auf eine Funktion verweist). Das Gesidit könnte das eines Hippie-Mädchens sein, das seine Droge vermißt, einer Studentin aus Oregon, deren Favorit Präfontaine soeben bei der Olympiade den 5000-m-Lauf verloren hat, eines verliebten Mädchens, das von seinem Freund versetzt worden ist, und auch einer Militanten in Vietnam. Das ist zuviel. Es gibt zuviel an Information in einem zu kleinen Zeit/Raum. Wir sind einerseits überzeugt, daß es sich um eine Militante handelt, die an Vietnam denkt, und wir sind uns dessen andrerseits überhaupt nicht sicher, weil sie auch an alles andere mögliche denken könnte, wie wir eben aufgezeigt haben. Schließlich und endlich stellt sich die Frage: wie kommt es, daß das Photo einer Militanten (oder Schauspielerin), die nicht notwendigerweise an Vietnam denkt, statt jenes einer Schauspielerin (oder Militanten), die gezwungenermaßen an Vietnam denkt, publiziert wird. Denn darin ist die Realität dieses Photos zu sehen: Aufmachung eines Stars, der durch seine Ungeschminktheit entblößt ist. Das ist aber nicht das, was l'Express sagt, denn das würde dem Anfang einer Revolution im Journalismus gleidikommen. In Europa oder in den USA sagen, daß es heutzutage nicht möglich sei, jemanden aufzunehmen, der an etwas bestimmtes denkt (Vietnam, vögeln, Ford, Fabrik, der Strand usw.), das wäre der Anfang einer Revolution.
 
- Man wird uns sagen, daß es nicht richtig gewesen ist, ein Teil des Photos zu isolieren, weil dieses Teil allein nicht publizierbar ist. Das ist ein sehr schlechtes Argument. Wir haben es gerade isoliert, um zu zeigen, daß es in der Tat für sich steht, und daß die Tragödie in dieser Einsamkeit begründet ist. Denn wenn es uns gelungen ist, dieses Gesicht zu isolieren, so au& weil es uns das leicht gemacht hat; im Gegensatz zu dem vietnamesischen Gesicht, das sich von seiner Umgebung, selbst wenn es ganz allein steht, nicht isolieren läßt.
 
- Dieser von der Schauspielerin benutzte Ausdruck ist uns in Frankreich schon seit langem bekannt. Es ist der des cartesianischen cogito: ich denke, also bin ich, durch Rodin und seinen Denker mumifiziert. Es wäre angemessen, diese berühmte Statue durch alle Orte der großen und kleinen Katastrophen zu tragen, um die Massen zum Mitleid zu bewegen. Der Schwindel der kapitalistischen Kunst, des kapitalistischen Humanismus würde unverzüglich auffliegen. Es gilt also zu begreifen, daß ein Star nicht denken kann, weil er eine soziale Funktion ist: er roird gedacht und er macht uns nachdenken (es genügt, Denkern wie Marlon Brando oder Pompidou bei ihrer Art zu spielen zuzuschauen, um zu begreifen, warum das Kapital der Unterstützung einer solchen Kunst bedarf: sie erhöht die Schlagkraft der idealistischen Philosophie in ihrem Kampf gegen die materialistische Philosophie von Marx, Engels, Lenin und Mao, die ihre Völker auf diesem Gebiet repräsentieren).
 
- Wir haben oben gesagt: isolieren wir, im Gegensatz dazu, das Gesicht der amerikanischen Schauspielerin. Isolieren wir nun in diesem Satz die Worte "im Gegensatz dazu" (isolieren, teilen: die revolutionäre Teilung, sagte Lenin, kämpft gegen die kapitalistische Arbeitsteilung). Wir sehen also, daß der Gesichtsausdruck der amerikanischen Militanten und der des Nord Vietnamesen einander entgegengesetzt sind. Und es ist, unserer Ansicht nach, der Kampf dieser Gegensätze, der in Wirklichkeit die imaginäre Realität dieses Bildes bewegt.
 
- Das amerikanische Auge begnügt sich, das Wort Schrecken in Vietnam zu lesen. Das vietnamesische Auge sieht die amerikanische Realität in all ihrem Schrecken. Hinter dem Gesichtsausdruck dieses vietnamesischen Statisten bildet sich also bereits die wunderbare und große Maschine ab, die montiert wird von dem Kollektiv Nord-Vietnam/Vietcong.
 
- Die Darstellung dieses Stars seinerseits steht für die schändliche und furchtbare Maschine des Kapitalismus, erfüllt von einem auf zynische Weise demütigen Ausdruck, von verworrener Klarheit (in diesem Zusammenhang ist auch Lelouchs L'Aventure c'est l'auenture zu sehen). Kurzum, Kampf zwischen dem noch und dem schon, zwischen dem Alten und dem Neuen. Ein Kampf, der sich nicht beschränkt auf die Produktion des Photos, sondern sich fortsetzt in seiner Distribution, in der Tatsache, daß wir es in diesem Moment anschauen. Kampf zwischen Produktion und Verbreitung, je nachdem, wer dem einen oder anderen befiehlt, das Kapital oder die Revolution.
 
WEITERE ELEMENTE VON ELEMENTEN
 
- Die Nord-Vietnamesen haben das Recht zu dem Risiko, das in der Verbreitung dieses Photos liegt. Oder besser: sie haben ihre Gründe. In dem Mechanismus der Entfaltung ihrer aktuellen diplomatisch militärischen Offensive fungiert dieses Photo wie ein kleines Rädchen.
 
- Dieses Photo ist eines von den Tausenden und aber Tausenden, die das vietnamesische Volk mit seinem Blut bezahlt, um schlagfertig den Verbrechen des US Krieges begegnen zu können. Anmerkung am Rande, Jane, daß das Kollektiv Vietcong/Nord-Vietnam selten Dokumente der Grausamkeit veröffentlicht und oft solche der Kämpfe.
 
- Um also schlagfertig zu antworten, hat die nord-vietnamesische Regierung, Repräsentant ihres Volkes, hier repräsentiert durch das Komitee für die Freundschaft mit dem amerikanischen Volk, die Schauspielerin Jane Fonda engagiert. Es heißt also eine Rolle zu spielen.
 
- Im Gegensatz zu vielen Amerikanern hat die amerikanische Schauspielerin diese Rolle akzeptiert und hat zu diesem Zweck ihre Heimat verlassen. Sie ist nach Hanoi gekommen, um sich in den Dienst der vietnamesischen Revolution zu stellen. Es stellt sich also die Frage: auf welche Art und Weise stellt sie sich in diesen Dienst? Was genauer heißt: wie spielt sie diese Rolle?
 
- Die amerikanische Schauspielerin, die wir auf diesem Photo an der Arbeit sehen, dient dem vietnamesischen Volk in seinem Kampf um die Unabhängigkeit; jedoch dient sie nicht nur in Vietnam, sondern ebenso in den USA, insbesonders, und auch in Europa, da das Photo bis zu uns gelangt ist. Also müssen wir, die wir dieses Photo bis jetzt angeschaut haben, jetzt fragen: hilft dieses Photo uns? Und vor allem: hilft es uns Vietnam zu dienen (und es ist Vietnam, das uns diese Frage zu stellen zwingt).
 
ZUSAMMENGEFASSTE ELEMENTE
 
- Weder l'Express noch die Militante haben differenziert zwischen Jane Fonda spricht, befragt, und Jane Fonda hört zu.
 
- Für die Vietnamesen ist die Tatsache, daß sie spricht (und von geringer Bedeutung ist, unserer Meinung nach, für sie, ob die Schauspielerin spricht oder zuhört, denn das Schweigen ist ebenso beredt, nur wird das nicht gesagt) im Augenblick, in dieser historischen Epoche ihres Kampfes, nicht das wesentliche Element. Wichtig ist, daß sie da ist.
 
- Aber hier, 1972, ist das Hauptelement nicht zwingend dasselbe. Wir müssen herausfinden, welche Kraft hinter diesem"Zwang" am Werk ist.
 
- Wir haben uns also veranlaßt gesehen zu unterstreichen, daß der Begleittext zu dem Photo lügt, wenn er sagt, die Schauspielerin spreche zu den Einwohnern von Hanoi, während das Photo zeigt, daß die Militante zuhört. Wir (die wir auf der kontradiktatorischen Wahrheit dieses Photos bestehen und nicht auf seiner ewiggültigen) halten es für wichtig festzustellen, daß l'Express auf allen Ebenen lügt, aber wir halten es für ebenso wichtig hinzuzufügen, daß die Zeitschrift erst durch das Photo in die Lage versetzt wird, lügen zu können. In der Tat profitiert (Verlust und Profit) l'Express von dem stillschweigenden Einverständnis dieses Photos um den Tatbestand zu verschweigen, daß die Militante zuhört. Denn obgleich er sagt, sie spreche, und sie spreche vom Frieden in Vietnam, wird l'Express nicht sagen können, um welchen Frieden es sich handelt. Diese Sorge überläßt er dem Photo, so als sei es selbstverständlich, daß das Photo dies von sich aus präzisiert, wo wir doch herausgefunden haben, daß es darüber nichts sagt. Aber wenn l'Express in dieser Weise verfahren kann, so wahrscheinlich weil die amerikanische Schauspielerin nicht anders kämpft als mit dem Spruch: Friede in Vietnam und sie sich nicht fragt, welche Art von Frieden genau und, insbesonders, welcher Frieden in Amerika. Und wenn sie sich noch nicht fragt, oder ihr dies noch nicht gelingt, so nicht, weil sie immer noch als Schauspielerin handelte statt als Militante, sondern weil sie, im Gegenteil, sich als Militante noch keinerlei Fragen neuen Stil gestellt hat über ihre Tätigkeit als Schauspielerin, sozial wie technisch. Kurz, sie kämpft nicht als Schauspielerin, obgleich die Nord-Vietnamesen sie gerade als solche eingeladen haben: als eine militante Schauspielerin. Kurz, sie spricht von woanders als von da, wo sie ist, in Amerika nämlich, was die Vietnamesen in erster Linie interessiert. So kommt es, daß auch sie die Tatsache verhehlt, die das allerwichtigste Moment dieses Photos ausmacht: daß sie zuhört, daß sie Vietnam zuhört, bevor sie spricht, während gerade Nixon, Kissinger und der infame Porter es sind, die nicht zuhören, die absolut nichts anderes hören wollen als "Bahnhof". Daher ihre Maskerade, die es auch zu demaskieren gilt. Und Nixon demaskieren heißt nicht sagen: Friede in Vietnam. Denn auch er sagt das (und Breschnew auch). Man muß das Gegenteil von dem sagen, was er sagt. Das heißt sagen: ich höre auf die Vietnamesen, die mir sagen werden, welchen Frieden sie für ihr Land wollen. Das heißt sagen: als Amerikaner halte ich mein Maul, weil ich anerkenne, daß ich darüber nichts zu sagen habe, es ist an den Vietnamesen zu sagen, was sie wollen, an mir, ihnen zuzuhören, um anschließend das zu tun, was sie wollen, denn ich habe mit Süd-Ost-Asien nichts zu schaffen. Der Rest ist Maskerade. Aber, noch einmal: es ist nicht ein Deut in dieser Richtung gesagt worden.
 
- Wir sind nicht gegen die Masken ("die Revolution schreitet maskiert voran" sagte einstmals Régis Debray, in bezug auf Kuba. Und Marx und Engels, 1848: "Ein Gespenst geht um in Europa, das Gespenst des Kommunismus"); aber wir dürfen die Fragen nicht vernachlässigen: was maskiert wen? wer maskiert was? für wen und gegen wen? Erst danach werden wir die soziale Nützlichkeit einer Maske beurteilen können, ihre Notwendigkeit, strategisch und taktisch. Wir, die wir in unserer eigenen Geschichte als Akteure auftreten wollen, wir, Jean-Pierre und Jean-Luc, in der unseren, und Du, Jane, in der Deinen (und kann man in den Befreiungskriegen der Arbeiterbewegung nicht Geschichten sehen, die ihre Akteure, ohne auf das vom Kapital und vom CIA diktierte Drehbuch hören zu müssen, selber realisieren wollen?). Erst wenn diese Fragen entschieden sind, wird man die soziale Nützlichkeit eines Akteurs auf dem einen oder auf dem anderen Schauplatz, der Kämpfe genau beurteilen können. Ökonomisch ausgedrückt: man wird seinen Gebrauchswert ermessen können, das heißt die soziale Nützlichkeit des Blickwechsels, den dieses Photo wiedergibt, und man wird nicht mehr automatisch glauben müssen einzig an seinen Tauschwert.
 
- Es ist also leicht möglich, daß Vietnam auf lange Sicht verliert, was es kurzfristig gewinnt durch den Werbeeffekt eines Blickwechsels zwischen einem amerikanischen Star und einer Einwohnerin des gebombten Hanoi. Denn die wirkliche Frage ist: wer kontrolliert den Tausch und zu welchem Zweck.
 
ERSTE FOLGERUNGEN
 
- Finalement, sagen die Romanciers und die Philosophen. En fin de compte, sagen die Bankiers. Wir sehen, wie die Untersuchung dieses Photos in der Notwendigkeit mündet, die Starfrage korrekt zu stellen, sie richtig zu belichten (wir bleiben auf dem Gebiet der Photographie). Sind es die Stars, die Helden, die die Geschichte machen, oder sind es die Völker?
 
- Man wird bei dieser Gelegenheit auch die Frage der Delegation, die Frage der Repräsentation stellen müssen. Wer repräsentiert was und wie? Ich repräsentiere die deutsche Arbeiterklasse, sagte die Kommunistische Partei Deutschlands, bevor sie das Gros ihrer Truppen zu den späteren Eingeschlossenen von Stalingrad beisteuerte. Ich repräsentiere den Sozialismus, sagt ein junger Kibbutzim, der unentgeltlich Orangenbäume in arabische Erde pflanzt, zum allergrößten Profit der Leoumi Bank. Ich repräsentiere die amerikanische Stabilität, sagt Richard Milhouse Nixon. Kurz, die einen repräsentieren die Aussauger, die anderen die Einsauger. Es sind dieselben.
 
- Es erschien uns nützlich, um uns wieder etwas besser zurechtfinden zu können, etwas zu tun, was Journalisten niemals machen: ein Photo zu befragen, das, ebenso, die Realität repräsentiert; und nicht gleich welches Photo, und nicht gleich welche Realität. Also auch nicht gleich welche Repräsentation.
 
ZWEITE FOLGERUNGEN
 
- Unser Wunsch, dieses Photo zu befragen, ist nicht zufällig entstanden. Auch die Maschine Tout va bien funktioniert mit Hilfe von Stars. Und darüber hinaus mit den Stars der Stars, da es sich um ein Liebespaar (der Star der Drehbücher in Hollywoods Kaiserreich) handelt, dargestellt von zwei dem kapitalistischen System zugehörigen Stars und gekoppelt mit einem Starregisseur. Was aber tun all diese Stars in dem Film anderes, als den Geräuschen eines Arbeitskampf es zu lauschen, ebenso wie Jane Fonda auf diesem Photo den Geräuschen der vietnamesischen Revolution. Aber auf dem Photo wird das nicht gesagt. In dem Film ja.
 
- In der Tat ist, was die Vietnamesen interessiert, einen amerikanischen Star zu einer Ortsveränderung bewegt zu haben. Es ist in der Ortsveränderung dieses Stars, daß sie ihre Stärke und die Gerechtigkeit ihrer Sache gezeigt haben. Aber die Truppen des Kapitals profitieren zugleich von dieser Ortsveränderung, um anzugreifen. Und wir, wir müssen von dieser durch das Kapital erzwungenen Orstveränderung profitieren, um unsrerseits anzugreifen.
 
- Wir sind der Ansicht, an der Stelle dieses Photos hätten, Seite an Seite, die beiden in diesem Photo enthaltenen Photos stehen müssen: das alte Photo und das neue, das alte Photo mit einer neuen, das neue mit einer alten Erläuterung.
 
- Das würde, zum Beispiel, folgendes ergeben: in Vietnam bin ich fröhlich, weil es, trotz der Bomben, eine Hoffnung gibt für die Revolution; in Amerika bin ich, trotz der wirtschaftlichen Fortschritte, traurig, weil die Zukunft versperrt ist.
 
- Die Realität, das ist: zwei Töne und zwei Bilder, das Alte und das Neue, sowie ihre verschiedenartigen Verbindungen. Denn es ist das imperialistische Kapital, das behauptet, daß Zwei in Einem fusionieren (und das nichts zeigt als ein Photo von Dir), während es die soziale und wissenschaftliche Revolution ist, die uns sagt, daß eines sich in zwei Teile teilt (und die aufzeigt, wie bei Dir das Alte gegen das Neue kämpft).
 
- Das wär's, und es gäbe sicher noch andere Dinge zu sagen. Wir hoffen, wir werden die Zeit haben, uns in den USA zu sehen, um über alles das ein wenig mit dem Zuschauer zu diskutieren. Sei guten Mutes.
 
Jean-Luc und Jean-Pierre

 


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